Damals, als die Grazer noch die heimische Footballwelt regierten und Wikinger nicht mehr als willkommene Jausengegner waren. Ein Kommentar zum gestrigen Spiel von Walter H. Reiterer.

Die Zeiten sind lange her, manche Footballfans mögen das vielleicht gar nicht wissen. Bis Mitte der Neunziger-Jahre dominierten die Graz Giants die Österreichische Football-Szene. Von den ersten acht Austrian-Bowls gingen sechs in die Steiermark. Es folgten drei weitere Titel in den Jahren 95, 97 und 98. Die endgültige Machtübernahme und Thronfolge als Serienmeister vollführten die Vikings im Jahr 1999. Tobias Oberzeller versetzte die Giants mit seinem Catch in letzter Sekunde in der Austrian Bowl XV (Rannersdorf) in den Dornröschenschlaf. Der letzte Sieg der Giants über die Wiener gelang ihnen im Jahr 2002 im EFAF-Cup, ansonsten kannte das Duell Graz gegen Wien nur mehr einen Sieger: die Vikings.

Selbst am Status als Nummer zwei des Landes wurde gekratzt, man verlor schleichend auch den Anschluss an Tirol. Erst im Vorjahr konnte man wieder an den Raiders vorbei in die Austrian Bowl einziehen. Dort warteten aber schon die Vikings und kannten kein Pardon mit ihrem ehemaligen Lieblingsgegner.

Tiefe Gefühle
Zwischen den Städten Wien und Graz ist die Liebe bekanntlich überschaubar. Im American Football ist das ebenso. Letztes Beispiel in einer ganzen Reihe von gegenseitigen Nickligkeiten: die durchtriebene Presseaussendung der Vikings in Sachen Werosta und unguten Fans aus Graz. Michael Werosta war beim gestrigen Spiel dann aber nur für Null Yards Strafen verantwortlich (für deftige Penaltys waren an dem Tag fast ausschließlich Vikings-Spieler zuständig), konnte also den Sieg der Giants nicht ‚erfolgreich verhindern‘. Die Grazer Fans blieben ihrerseits fast geschlossen zu Hause und konnten so gar nicht ungut auffallen. Blöd eigentlich, denn ungut ist ganz sicher, dass man die Tickets an die Unguten nicht verkaufen konnte. Wollten die Grazer Fans die Vikings vielleicht genau an ihrer empfindlichsten Stelle mit einem stillen Boykott treffen? Möglich scheint es.

Wie auch immer, war die Pressemeldung der Vikings zwar ziemlich dumm (und wurde daher prompt vom AFBÖ zensuriert), inhaltlich befand man sich aber nur teilweise daneben. Bei Werosta hat man sich wohl schwer vertan, jedoch stimmt es, dass ein Grazer Fan dem lila Fantisch-Fetisch-Team-Maskottchen mal ‚krass‘ über den Haufen lief, und ein Mann tanzte sich nicht nur einen Wolf, sondern stellte sein errötetes blankes Hinterteil (der eigenen Mannschaft) auch zur Schau. Disgusting! Ein nackiges Mannsbildpopscherl am ‚familiar‘ Treff der sportiven Elite Wiens! Immerhin will man sauber unterhalten werden. Fix, Oida! Noch dazu der Arsch einem Intellektuellen, der dieser seltsamen Fußball-Proleten-Kultur auch frönt gehörte. Allerdings ist das alles auch schon ein wenig länger her. Damals ‚rabaukte‘ Werosta noch in violett. Schlimm, schlimm das.

Man erkennt daran aber, wie fantastisch hübsch gestört das Verhältnis der beiden Städte zueinander ist und eigentlich ist das ja auch gut so. Die Fankultur des heimischen American Footballs erträgt das locker, scheidet sie auch echte Chaoten und Hooligans auf natürlichem Wege aus. Das ist so und soll auch so bleiben.

won-tu-sri
Dass die Vikings-Fan-Welt dann allerdings nicht ganz so kuschelig lila ist, wie sie die Vikings selbst gerne hätten, bemerkte man am Samstagnachmittag angesichts der sich anbahnenden Niederlage. Anhaltende Pfiffe und Buhrufe für die Schiedsrichter-Crew, ein Michael Holub der als Platzsprecher ungewöhnlich forsch und vehement die Entscheidungen der Refs via "Fank-Maikrophone" kommentierte und auch kritisierte. ‚Lustige‘ Lieder (One, two, three – hang the referee!) wurden gesungen, ja sogar vereinzelte Hinweise auf die ethnische Herkunft des Hauptschiedsrichters Bojan Savicevic konnte man wahrnehmen. Wo geht’s dann eigentlich wirklich hin, wenn man unsereins schon fragt? Da hin? Der (der Herr Bojan S.) sagte nach dem Spiel, dass man das am Feld alles nicht so mitbekomme. Das ist auch gut so (für die Wikinger und Savicevic), denn in Hohenems verfuhr man mit einem renitenten Platzsprecher, der sich über die Refs beschwerte, einfach mit Raumstrafen gegen das Heimteam. So geht’s natürlich auch.

Ohne die Entscheidungen der Referees in Schutz nehmen zu wollen, sollte man in Zukunft vielleicht ein wenig vor der eigenen Türe kehren, bevor man den dreckigen Vorgarten des Nachbarn unbedingt in die AFL-Talk-Show bringen will.

In Summe sind diese ‚Vorfälle‘ allerdings noch immer beruhigend harmlos. Es kamen weder Menschen noch Wirbeltiere zu Schaden. Mehr Frust als Aggression, mehr ‚Motschkern‘ als Drohen, mehr Heuriger als Nachtschicht. Am Ende wurde dem eigenen Team und auch den Grazern applaudiert, die Schiris kamen unbeschadet davon, Bojan Savicevic darf Österreicher bleiben und die brennende Niederlage wurde mit ein, zwei Caipirinhas bei Ali, der seine Harley diesmal weitgehend in der Garage schonen konnte, gelöscht. Das unterscheidet am Ende uns Menschen von Fußballfans. Um es frech zu pauschalisieren, was ich als Fußballfan "light" vielleicht darf.

Ravelinisiert
Das Spiel selbst war hochinteressant und aufschlußreich. Die Vikings sind nicht bloß mehr ein simpler Sportverein. Ihr Footballzentrum in der Ravelinstraße beschäftigt sie Tag und Nacht und damit auch die Vereinstrukturen. Karl Wurm ist kein ordinärer Präsident, sondern ein Visionär. Er wollte sein ‚Wurmloch‘, nun hat er es und kämpft mit den wild um sich schlagenden Tentakeln des Ungetüms. Er wird den Kampf gewinnen. Dafür braucht man keine hellseherischen Fähigkeiten. Er träumt bereits vom nächsten Schritt, der ‚Atlantic Bowl‘ (Name frei erfunden). Die Vikings sollen sich in Zukunft öfter als ein Mal im Jahr mit Mannschaften aus dem Herkunftsland des Sports USA messen. Darauf kann man sich nur freuen.

Verwahrlost, aber frei
Die erste Mannschaft wirkt dadurch (man verzeihe mir) ein wenig verwahrlost. Als sei es im Moment nicht das Wichtigste die Titelserie zu prolongieren. Ganz ehrlich: Was sollen die Vikings eigentlich noch gewinnen? Die fünfte Euro Bowl? Okay. Die zehnte Austrian Bowl? Okay. Sie sind am Zenit ihrer derzeitigen Möglichkeiten an Titeln angekommen, und weil Karl Wurm um ein Vielfaches gescheiter ist, als das es die Presseaussendungen seines Vereins jemals waren, kümmert er sich um die Zukunft und läßt die Gegenwart damit Vergangenheit sein.

Im Stich gelassene Stars
So sah man eine O-Line, der schon vor der Saison nachgesagt wurde, dass sie desolat und löchrig sei, die zum Teil völlig desorientiert wirkte, dazu noch Strafen am Fließband produzierte, die Quarterback Luke Atwood im Grazer Passrush-Regen stehen ließ (vier Sacks!) und Runningback Clinton Graham mitteilte, dass kein Loch frei geblockt wurde, durch welches er laufen könnte. Mit dieser O-Line vor sich, sah Graham erstmals echt übel aus. Seine flinken Beine sind ihm augenscheinlich nur dann eine Hilfe, wenn er mal in Schuss ist. Die wahre Antrittsschnelligkeit des Vikings-Superstars zeigte sich erst durch die konsequente Arbeit der Giants-Defense. Mit Sand im Getrieb des Frontmotors steht auch das Heck still, oder: Der schönste Oberkörper der AFL gehört auch nur einem Menschen. Oder: Graham ist nicht so gut, wie man denkt. Oder: Samuel Carter ist einfach besser. Entscheiden Sie selbst. A, B, C oder doch D?

Fugazi
Durch die Unsicherheiten in der Line zeigte sich vor allem auch Quarterback Atwood beeindruckt. Der agierte fahrig und nervös, brachte zwar einige schöne Pässe an den Mann, musste aber, um weitere Sacks zu vermeiden, viele Bälle einfach wegwerfen. Von der Stärke der Vikings, in ‚Fugazi‘-Situationen die für den Gegner gemeinsten Spielzüge auszupacken, war am Samstag nicht mehr viel zu spüren. Vierte Versuche wurden, bereits in der Not scoren zu müssen, ausgespielt und das ging nur manchmal gut. Turnover on downs mündeten in Touchdowns für die Giants. Das ist doch einigermaßen neu.

Starke Imports
Als Bereicherung sind die Neuzugänge Stephone Robinson und Mike Salerno bei den Vikes zu melden. Trotz der Niederlage zeigten diese beiden Spieler auf, dass im geschlagenen Vikings-Team ein gemeines und superböses Football-Monster schlummert. Und nichts ist gefährlicher als ein angezählter Favorit mit stillem Potential. Die Raiders könnten das schon in einer Woche spüren, denn die Wiener werden alles jetzt tun, nur nicht die Flinte ins Korn werfen. Dafür gibt es auch keinen Grund. Man hat ein Spiel gegen einen Mitfavoriten verloren. Die Sache könnte am kommenden Samstag schon wieder ganz anders aussehen. Allerdings sind sie mit dieser Heimschlappe deutlich unter Druck geraten. Eine weitere Niederlage könnte Steine ins Rollen bringen. Denn Karl Wurm ist auch für seine Entscheidungsfreudigkeit gegen Fehlentwicklungen bekannt. Läuft etwas nicht nach seiner Vorstellung, dann ändert er den Speiseplan schneller, als der Koch den Herd anmachen könnte. Noch sind die Jobs von Chris Calaycay & Co nicht in Gefahr. Bei einer Niederlage gegen Tirol am Samstag, würde aber so mancher Sessel bereits zu Wackeln beginnen, zudem Calaycay als Head Coach in der Wikinger-Organisation nicht gänzlich unumstritten ist.

Nachwuchs-Philosophen?
Womit sich die Vikings aber bei Niederlagen gegen derlei Gegner wie die Giants zusehends schwer tun könnten, ist ihre Standhaftigkeit zu Fragen in Sachen Nachwuchsarbeit. Die Vikings forcieren ihr eigenes Nachwuchskonzept und erklärten es, gemeinsam mit den Dragons und Raiders, zum Standard und zum guten Ton in der AFL gehörig. Alle sollten so arbeiten. Damit (mit der Quantität) verband man die Anzahl der A-Klasse-Spieler-Slots. Die Argumentation ging bislang dabei recht leicht von der Hand. Man besiegt als Kampfmannschaft all jene, welche Nachwuchsarbeit anders angehen als man es selbst tut und behauptet dann, dass das Nachzügeln der Verlierer mit der Nachwuchsarbeit kausal im Zusammenhag stehe. Die Vikings kamen auf dieses Ergebnis (unsere Nachwuchsarbeit garantiert Prosperierung!) just in einem Jahr, indem sie keinen einzigen Nachwuchstitel, jedoch die Austrian- und die Euro Bowl gewannen. Die Dragons, bekanntlich im Nachwuchs eine "Österreichische Weltmacht", gewannen mit ihrer Kampfmannschaft, in den mehr als zwanzig Jahren ihres Bestehens, bislang lediglich die Erfahrung der einzige Traditionsverein zu sein, der noch nie Staatsmeister wurde. Wo sich spätestens hier die Frage nach den Zusammenhängen und dem Erfolg unterschiedlicher Konzepte stellen sollte und ob man eines, welches einem selbst gut gefällt, unbedingt dem anderen (dem Gegner) aufzwingen muss? Sollten die Giants, oder auch Blue Devils, welche von Eschlböck, Dragons, Vikings & Co als gemeine Nachwuchsfaulenzer angesehen werden, weiter auf der Siegerstraße bleiben, dann darf man auch dieses Dogma hinterfragen. Denn will der Unterlegene dem Obsiegenden tatsächlich erklären wollen, was er falsch macht, wenn er gewinnt? Das wäre zumindest originell. Die Giants sagen dazu klar Nein. Ihre Philosophie ist eine ganz andere. Ziehe aus jedem Nachwuchsteam drei bis fünf Spieler für eine spätere Kampfmannschaft heraus. Der vom Verband und drei AFL-Vereinen bevorzugten Nachwuchs-Politik in der Form leisten sie massiven Widerstand. Wie man zuletzt sah, ohne Erfolg.

Disziplin
Bleibt zu sagen, dass die Giants eine überraschend starke Leistung gebracht haben. Damit konnte man nach der Niederlage in Paris nicht spekulieren. Chris Gunn ist der QB der Stunde. Die Pässe des Amerikaners konnte man deutlich von denen seines Gegenübers Atwood unterscheiden, kamen sie denn häufig bei seinen Receivern an und er hatte er auch die nötige Zeit diese zu timen. Dazu eine D-Line die ihren Spaß darin fand, die O-Line der Vikings auszumanövrieren und die skill-player der Vikings zu terrorisieren. Auch das klappte hervorragend. Hervorzuheben ist auch noch die überlegene Spieldisziplin der Grazer. Während die Vikings unnötige Fouls begingen, blieben die Steirer cool. Kaum Strafen und wenn, dann waren diese für das Spiel meist unwichtig. Dabei blieb das Spiel selbst an sich aber fair. Die meisten Strafen gegen die Vikings waren dumm – eine Parallele zu den Presseaussendungen, so betrachtet.

Am Ende ist diese Niederlage der Vikings das Beste was dieser AFL passieren konnte. Durch ihre Kürze ist die als Liga per se schon in Frage zu stellen (ist es nicht ein Turnier eigentlich?). Käme es durch die wenigen Spiele heuer zu einer Überraschungs-Begegnung in der Austrian Bowl, so wäre das gar keine solche mehr. Ein Duell GIA-RAI ist ebenso vorstellbar wie eine Teilnahme der Devils in dieser, sieht man sich die ersten Ergebnisse an.

Noch ist es aber nicht so weit. Es wird noch Wasser die Donau, Mur, den Inn und Rhein runterlaufen, bis Klarheit geschaffen ist. Die Vikings-Fans müssen heuer aber bereit sein ein AFL-Endspiel besuchen zu wollen in jenem ihr Team eventuell nicht partizipiert. Womit wir beim großen Plus der Vikings-Fans angelangt sind: Sie würden das auch (geschlossen) tun. Als einzige Footballfans dieses Landes. Eine Football-Community wie Wien hat kein zweites Bundesland vorzuweisen. Punkt und Ausrufezeichen. Da müssen ein paar Heißsporne noch sehr oft ‚Tschuschenschiri‘ sagen bis sich das ändert. Hoffentlich wird das denen bis dahin untersagt. Am besten in einer Presseaussendung.

Meint Ihr

Walter H. Reiterer

P.S. Weil grad heute Morgen die PA der Vikings zum gestrigen Spiel kam, möchte ich die Ihnen die nicht vorenthalten. Geht ganz kurz und bündig:

RAIFFEISEN VIKINGS : TUREK GRAZ GIANTS 20:33 (7:13)
TDs Vikings: Meklau, Salerno, Robinson. TDs Graz: Kranz, Gunn, Muheize, Ponce de Leon 2
Zuseher: 2.800

’nuff said, wie mir scheint.

AFL
Raiffeisen Vikings vs. Turek Graz Giants 20:33
(7:7/0:6/0:13/13:7)
»Spielstatistiken«
29. März 08 | 15:00
Hohe Warte, Wien
Officials: Savicevic / Dungler / Hofbauer / Tadic Z. / Steiner

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