Gestern nahm all das ein Ende, als am Innsbrucker Tivoli die Turek Graz Giants auf die Swarco Raiders trafen und erstere mit 35:20 als Sieger vom Platz gehen konnten! Wie das alles kam, was alles geschah und was man sonst noch wissen sollte, darüber informiert Sie Martin Pfanner aus Innsbruck.

Die Favoritenrollen waren vor dem Spiel scheinbar klar verteilt. Die Gastgeber und amtierenden Staatsmeister wollten im ersten Spiel der neuen Saison gleich eine Duftmarke gegen einen erklärten (Geheim-)Favoriten setzen, die Grazer sich die vermeintliche Underdog-Rolle zu nutze machen. Da die Offseason bekanntlich alles neu macht galt es erstmals die Innsbrucker Umsetzung der im Vorfeld bis zum Gehtnichtmehr gedroschenen Formel "Touchdowns made in Austria" zu begutachten (die Skill Positions werden bei den Raiders in dieser Saison nur von Österreichern besetzt, Anm.), zudem gab’s noch den mit Vorschusslorbeeren überhäuften kanadischen QB Marko Glavic erstmals live zu sehen. Auf Grazer Seite bekam es der geneigte Fan gleich mit einem neuen Coach (Rick Rhoades), QB (Thomas Ricks), WR (Darryl Ray), RB (Mohamed Muheize) und LB (Michael Werosta) zu tun. Angesichts dieses Overkills an spannenden Geschichten war am Anfang leichte Konfusion vorhanden. Mit wem sollte zuerst über was geredet werden, ohne aber darauf zu vergessen auch noch ein Auge auf alle anderen Vorgänge zu haben?

Das Schiff schon schaukeln …

Bereits beim Kickoff sahen sich die Mannen vom Inn einem alten Bekannten gegenüber. Mohamed Muheize, in Graz für Kickoff und Punt-Returns zuständig, trug das Ei 30 Yards noch vorne und der Angriffsmotor rund um Neo-Quarterback Thomas Ricks war angesichts der ersten Spielzüge auch schon auf beachtlichen Touren. Mit einer stimmigen Mischung aus Lauf- und Passpiel dirigierte Head Coach Rick Rhoades seine Offensive übers Feld.
Über das ganze Feld? Nein, denn Raiders DB Thomas Eitzenberger brachte dieses Unterfangen einem jähen Ende zu, als er einen schlecht geworfenen Ball von Ricks an der eigenen 20 aus der Luft pflückte und sein Team auch gleich noch in eine gute Ausgangslage bringen konnte. Ein darauf folgendes 3&Out der Raiders stellte sich schlussendlich als nicht allzu schlimm heraus, zwei Spielzüge später fumbelte Giant Mario Nerad wieder in Richtung Rinner und Co. Die daraus resultierende gute Feldposition nutzte Florian Grein aus zwei Yards Entfernung schließlich zum ersten ‚TD made in Austria‚ des Spiels und der Saison (PAT von Josef Schnellrieder wird geblockt). Das 6:0 und ein Gefühl von "Na die Raiders werden das schon schaukeln" stellte sich ein.

Gott und die (Football-)Welt

In dieser Phase des Spiels schien sich der liebe Footballgott vollends auf der Seite der schwarzen Buben zu schlagen. Die Grazer häuften weiterhin Fehler, Strafen und Ballverluste an, unrühmliches Highlight war wiederum ein Fumble in die Hände der InnsbruckerVerteidiger, diesmal ausgehend von Armando Ponce de Leon. Doch ein 3&Out verwehrte den Innsbruckern jegliche Chance die Führung auszubauen und erstmals wurde offensichtlich, dass es die Schwarzen an Kaltschnäuzigkeit und Abgebrühtheit vermissen ließen. Prompt vollführten die Steirer Buam einen Drive über 84 Yards, abgeschlossen durch einen 18 Yard Catch von Ponce de Leon, der seinen Fehler so wieder gutmachen konnte. Der PAT saß und die Tiroler waren erstmals bedient sowie in Rückstand. Das Spiel verlor an Spritzigkeit, wurde intensiver, aber auch zerfahrener. Wer Konstruktives suchte musste schon ganz genau hinsehen, beide Teams wirkten noch nicht "in sync". Rein vom Alter her hätte Raiders WR Christian Winkler der gleichnamigen Boyband angehören können, tat bzw. tut er aber nicht und das ist auch gut so. Der 19-Jährige Youngster erzielte Mitte des 2. Viertels in seinem ersten AFL-Spiel auch gleich einen TD zur Premiere (‚Made in Austria‚ zum zweiten), ein 20 Yarder von Golden Boy Glavic. Gar nicht goldig war dagegen Kicker Schnellrieders Leistung, denn ein weiterer versemmelter PAT folgte. Auf Licht folgte dem Spielverlauf gemäß wieder Schatten, nachlässiges Spiel der Giants, abgeschlossen durch Ricks dritte Interception (Adrian Kellman). Auf der Gegenseite wollte es aber auch nicht anders zugehen. Andreas Hoheneder fumbelte den Ball an der eigenen 24-Yard Linie weg, Philipp Grassegger recoverte und Bruder Martin vollendete wenige Spielzüge später aus einem Yard Entfernung erfolgreich zum TD. Der Extrapunkt saß und mit dem Halbzeitstand von 14:12 ging es in die Kabine.

Nicht klitzeklein, sondern riesengroß

Der erste Spielzug der zweiten Hälfte könnte Jakob Dieplingers titelgebende Aussage im ORF-Interview, dass sich ein Sieg der Giants als klitzekleine Vorentscheidung entpuppen kann, mehr als nur konterkarieren. Der schon länger an Oberschenkelmuskelproblemen laborierende Florian Grein musste den Eröffnungsreturn nach wenigen Yards humpelnd abbrechen. Es hatte ‚Zing‘ gemacht und Kenner der Materie wussten, dass es sich dabei um nichts Gutes handeln konnte. Head Coach Buffum machte später im Gespräch mit Football-Austria klar, dass der Spielplan in der zweiten Hälfte auf Grein und das Laufspiel ausgelegt gewesen wäre. Ohne den Pechvogel wurden über die verbleibende Spielzeit nurmehr drei Läufe gecallt. Bei derart eindimensionalem (und vor allem berechenbarem) Spiel lassen sich die Konsequenzen ohnehin schon erahnen. Die Ausbeute der vier Raiders Possessions des dritten Spielabschnitts lautete Interception, Punt, Punt und Interception. Auch als Darvin Lewis zwei Yards vor der Endzone den Ball wegfumbelte konnten die Schwarzen diese Einladung nicht annehmen. Dann kam auch noch Glück dazu, als Christoph Kipperer, der an diesem Nachmittag immerhin alle seine PATs treffen sollte, ein Field Goal aus 26 Yards vernebelte. Erst als Ex-Raider Muheize einen Punt Return bis an die 22 der Raiders getragen hatte, klappte es wieder mit einem Score. Einen Spielzug später fand Thomas Ricks seinen Receiver Darryl Ray in der Endzone und erhöhte auf 21:12.

Tristesse statt Touchdowns

Mi dem zweiten Spielzug des letzten Abschnitts kam dann auch die Entscheidung. Ricks bediente wiederum seinen Topreceiver Ray, diesmal aus 66 Yards Entfernung, der ließ sich nicht lange bitten und mit 11:06 auf der Uhr und einem Spielstand von 28:12 war die Partie gegessen. Die Innsbrucker waren konsterniert und traten auch dementsprechend auf. Nix mehr mit ‚TDs made in Austria‚ sondern ‚Tristesse powered by Tirol‚. Nach unzähligen Glavic-Incompletions bekamen die Grazer Giganten den Ball zurück und nahmen mit einem sehenswerten Drive knappe fünf Minuten von der Uhr, bevor sie dem Scoreboard weitere sieben Punkte hinzufügen sollten (Ricks auf Ponce de Leon aus 25 Yards). Beim aussichtslosen Stand von 35:12 versprühten die Raiders dann endlich wieder einen Hauch von Leben. Glavics 11-Yard Pass auf TE Stefan Michalski (gebürtiger Deutscher, als von wegen ‚made in AUT‚) fällt aber allenfalls in die Kategorie Ergebniskosmetik. Endstand: 20 – 35 aus Sicht der Raiders

Männer des Spiels

Wer Football kennt weiß wie aussagekräftig Statistiken sein können. 200 Yards Rushing sehen toll aus können aber durch 20 Fumbles schnell zunichte gemacht werden. Einige Individualleistungen müssen hier aber dennoch angeführt werden. Vor allem die Giants-Combo Ricks und Ray sorgte für ein Zahlenfeuerwerk der AFL-Extraklasse (von Football-Austria, aufgrund der Anfangsbuchstaben, von nun an offiziell als ‚Ravaging Rage‚ [verwüstende Wut, Anm.] tituliert) . Eine solide aufspielende Innsbrucker Defensive wurde von Ricks (20-32, 283 Yds., 4 TDs, 3 INTs) und Ray (9-165, 2 TDs) quasi im Alleingang zerlegt. Tatkräftige Unterstützung beim Pflock-ins-Westösterreichsiche-Herz-Rammen bekam das Duo von Mohamed Muheize, der mit insgesamt 181 Return Yards und einer Interception immer wieder die Grundlage für gute Ausgangssituationen seiner Mannschaft legte. Ein braves Spiel auf Tiroler Seite lieferte aber auch Debütant Winkler. Der 19-Jährige pflückte fünf Bälle für 56 Yards und einen TD aus der Luft.

Trübe Tiroler Tundra

Augenbrauen dürfte dieses Ergebnis nicht nur in der Eiseskälte (ganze zwei Grad) von Innsbruck gehoben haben. Auch die anwesenden Devils Vertreter Christoph Piringer und OC Jospeh Julien dürften über Spielverlauf und Ausgang etwas überrascht, aber nicht unzufrieden sein, zumal nächste Woche in Hohenems die Chance besteht die Tiroler mit einer weiteren Niederlage im Kampf um den Austrian Bowl-Einzug noch weiter zurückzuwerfen. Der ebenfalls anwesende Grazer Ex-GM Stefan Schubert hob vielleicht nicht unbedingt die Augenbrauen, dafür aber sicher die Mundwinkel. Seine Arbeit trägt Früchte, auch wenn noch viel Luft nach oben vorhanden zu sein scheint. Die Konkurrenz in Wien muss jetzt sicherlich aufhorchen. Die Giants lieferten zum Saisonstart bei weitem keine fehlerfreie, dafür aber effiziente Leistung ab. Beide Defensivabteilungen hielten verhältnismäßig gut, die Tiroler Eindimensionalität im Angriff machte schließlich dort den Unterschied aus. In der Offensive wich Tiroler Angriffslust bald überbordendem Frust. Nach Greins Ausfall klappte gar nichts mehr, Geschenke der Giants (insgesamt sechs Turnover, davon fünf in Halbzeit 1) wurden reihenweise ausgeschlagen.

Momentan wird über den Ausmaß der Oberschenkelmuskelverletzung Greins nur gemutmaßt. Von Einriss bis Riss reicht das Spektrum, von einem Monat Pause bis hin zur kompletten Saison (von hier aus trotzdem alles Gute). Sollte letzteres der Fall sein scheint die von WR Dieplinger angesprochene ‚klitzekleine‚ Entscheidung lachhaft. Ohne Laufspiel (und die Raiders hatten keines) kann man in der AFL nicht bestehen, schon gar nicht gegen Mitfavoriten wie Graz. Das Programm der nächsten Wochen (@ DEV, @ Valencia, VIK, @ GIA) ist mörderisch. Außerdem muss das Defizit von 15 Punkten im direkten Vergleich gegen die Giants in Eggenberg erst einmal gutgemacht werden. Dort regiert vorerst aber weiterhin Tiefstapelei. LB Michael Werosta, der einen unauffälligen Einstand feierte (2 Tackles), will sich erst in neun Wochen, also zum Ende der Regular Season, zu einer Prognose hinreißen lassen. Wenigstens muss er sich nicht den Katzenjammer anhören, der die nächsten Wochen und Monate unterm Dach des Tivoli angesagt sein wird. Head Coach Geoff Buffum traf, auf das ORF-Interview wartend, den Nagel mit nur einem Wort auf den Kopf. Einen leisen, betröpelten, mit kalifornischem Akzent betonten, deutschen Fäkalausdruck: "Scheiße"! (mp)

AFL
Swarco Raiders vs. Turek Graz Giants 20:35
(6:0/6:14/0:7/8:14)
1.100 Zuschauer
MVP: Darryl Ray (WR, Giants)Spielstatistiken

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