Manchmal lohnt sich aber ein Blick über die Grenzen unseres Landes, vor allem dann, wenn es sich dabei um das Mutterland des American Football handelt.
Nachdem ich in diesen Tagen das Privileg genieße, ein Semester an einer amerikanischen Universität absolvieren zu dürfen, möchte ich die Leser von Football-Austria.com in unregelmäßigen Abständen an meinen Beobachtungen der lokalen, regionalen und nationalen Footballszene der Vereinigten Staaten teilhaben lassen.
Im Besonderen geschieht dies auch deshalb, weil ich als Betroffener von Hurricane Katrina – ich hatte eigentlich vor, mein Auslandssemester an der Tulane University in New Orleans zu verbringen – an einer Universität gelandet bin, wo American Football eine übergeordnete Rolle spielt. Die University of Texas verfügt in diesem Jahr über das Talent und Potential endlich wieder um die National Championship mitzuspielen und den Titel in die texanische Hauptstadt, Austin, zu holen. Noch dem 45:12-Kantersieg am vergangenen Wochenende gegen den Erzrivalen Oklahoma scheint der Weg zu einer Regular Season ohne Niederlage geebnet.
Nach dem überschäumenden Jubel, der den Triumph über Oklahoma in Dallas begeleitete, ist dennoch Vorsicht geboten, sind mit Colorado und den bis dato unbesiegten Texas Tech Red Raiders doch zwei brandgefährliche Gegner an den kommenden beiden Wochenende in Austin zu Gast. Und dann gibt es ja noch immer das BCS-Ranking, das den Longhorns einen Strich durch die Rechnung machen könnte…
Bevor wir jedoch unseren Blick auf das Spiel vom vergangenen Wochenende und den weiteren Saisonverlauf der Texas Longhorns richten, werfen wir einen kurzen Blick zurück zum 1. Januar dieses Jahres.
Rose Bowl als Wendepunkt
In Pasadena, einem Vorort von Los Angeles trafen in der traditionellen Rose Bowl die Texas Longhorns auf die Michigan Wolverines. Zwar erschien Texas aufgrund seines Rankings als Nummer 6 als Favorit über die an Nummer 13 gereihten Wolverines, so recht an einen Sieg der Longhorns wollten aber die wenigstens Experten glauben. Gründe für diese Zweifel gab es genug. Im Zentrum der Kritik stand jedoch die Tatsache, dass das Team von Head Coach Mack Brown in großen Spielen stets seine schlechtesten Leistungen zeigte und es Brown bis zu diesem Zeitpunkt einfach nicht gelungen war, sein stets mit den besten Highschool-Talenten des Landes ausgestattetes Team so einzustellen, um auch die großen Hürden auf dem Weg zu einer National Championship zu nehmen. Brown galt es Coach, der zwar meist die besten Recruiting-Klassen nach Austin bringen, das vorhandene Talent aber nie zu einem richtigen Team zusammenschweißen konnte. Zu weich, zu gutmütig sei Brown im Umgang mit seinen Spielern. Vor allem die fünf Niederlagen in Serie gegen den Erzrivalen aus Oklahoma rund um Head Coach Bob Stoops ließen die kritischen Stimmen – vor allem aus Kreisen der Absolventen und Booster – immer lauter werden. Nicht wenige von ihnen forderten in regelmäßigen Abständen sogar die Entlassung des Coaches mit dem markanten Tennessee-Akzent.
Nach drei gespielten Vierteln in der Rose Bowl sah es erneut nach einer bitteren Niederlage für die Mannen rund um Coach Brown aus – mit 21:31 war man in Rückstand geraten. Was folgen sollte, könnte der entscheidende Wendepunkt in der Geschichte der Texaner gewesen sein. Ein entfesselter Quarterback Vince Young, der an diesem Tag 192 Yards und vier Touchdowns erlief und zusätzlich auch noch für 180 Passing Yards und einen weiteren Touchdown durch seine Pässe sorgte, führte Texas zurück ins Spiel, ein Field Goal von Dusty Mangum sorgte für einen atemberaubenden 38:37-Sieg in letzter Sekunde. Wie die Zeitlupe erkennen ließ, war der Ball noch von einem Michigan-Spieler berührt worden, bevor er schlussendlich seinen 37-Yard langen Weg über die Querlatte fand und für den größten texanischen Jubel der letzten Jahre sorgte.
Mit einem Schlag schien Coach Brown sich von aller auf seinen Schultern lastenden Kritik befreit zu haben. Die Stimmung sowohl in der Presse, aber auch am Campus unter den Studenten und Professoren, schlug innerhalb kürzester Zeit um. Sollte Texas nach all den Erfolgen, die Mack Brown mit seiner Truppe in den vergangenen sieben Jahren zweifelsohne erringen konnte, endlich der ganz große Wurf gelingen? Sollte nach über 35 Jahren Pause (Texas gewann zuletzt 1970 die National Championship) die Meisterschaft endlich wieder nach Austin zurückkehren, dorthin, wo sie nach Ansicht eines Großteils der footballverrückten Texaner (A&M-Fans stellen hier mit Sicherheit die Ausnahme von der Regel dar) auch gehört?
Beste Voraussetzungen, aber …
Mit nur wenigen, aber doch signifikanten Abgängen – unter anderem wechselten die Superstars RB Cedric Benson und LB Derrick Johnson in die NFL – sollte Brown ein schlagkräftiges Team für die Saison 2005 zur Verfügung haben, was den Longhorns einen zweiten Platz hinter Serienchampion USC im Preseason-Ranking einbringen sollte. Der Spielplan für die laufende Saison sollte aber schon in Woche zwei einen absoluten Hochkaräter, der selbst mit Hoffnungen auf eine National Championship in die Saison gestartet war, mit sich bringen.
Alles vorbei in Woche zwei?
Nach einer Pflichtübung und einem dementsprechend leichten 60:3-Heimsieg zum Saisonauftakt gegen Louisiana-Lafayette kam es im „Big Horseshoe“ von Colombus, Ohio zu einem äußerst seltenen September-Showdown zwischen der Nummer zwei der Nation, Texas, und den an vierter Stelle gerankten Ohio State Buckeyes. Nicht weniger als sechs Jahre, die seit Vertragsunterzeichnung vergangen waren, hatten die Fans beider Lager und Footballliebhaber im ganzen Land auf dieses Aufeinandertreffen gewartet. Mit zusammen über 1550 Siegen stellen Ohio State und Texas zwei der erfolgreichsten College Football Programme aller Zeiten, dennoch war es in der über hundertjährigen Geschichte beider Teams noch nie zu einem Duell gekommen. Wieder stellte sich für die Experten der College Football Szene die Frage, ob die Longhorns – vor allem mental – stark genug waren, um dem enormen Druck, der auf ihren Schultern lastete standzuhalten. Mehr als 100.000 fanatische OSU-Fans sorgten zusätzlich für eine dermaßen elektrisierende Atmosphäre im Ohio Stadium, die es für Texas so gut wie unmöglich zu machen schien, die vor heimischer Kulisse in Night Games noch nie besiegten Buckeyes zu schlagen und somit die Hoffnungen auf eine National Championship am Leben zu erhalten. In einem System ohne Playoffs macht eine Niederlage in Woche zwei bereits fast alle Hoffnungen auf eine Finalteilnahme zunichte, zu weit fällt man in den für das BCS (Bowl Championship Series) Ranking entscheidenden Polls zurück.
Zwar konnten die Texaner schnell mit 10:0 in Führung gehen, eine Serie an Ballverlusten im zweiten Viertel gab Ohio State aber wiederholt die Möglichkeit den Rückstand aufzuholen und einen entscheidenden Vorsprung herauszuspielen. Dass Texas nur mit einem 13:16-Rückstand in die Pause ging, war der herausragenden Leistung der texanischen Verteidigung zu verdanken. Bereits im zweiten Saisonspiel war die Handschrift des neuen Defensive Coordinators, Gene Chizik, der in der vergangenen Saison die Defense von Auburn zur besten des Landes geformt hatte, zu erkennen. Stets mit hervorragender Feldposition ausgestattet, konnte Ohio State dazu gezwungen werden, ihre Punkte durch Field Goals zu erzielen. Ohio State Superstar WR Ted Ginn Jr., vor dem Spiel noch als einer der talentiertesten College-Spieler gehandelt und mit einem Sports Illustrated Cover gewürdigt, wurde beinahe zu Gänze aus dem Verkehr gezogen und beendete das Spiel mit ganzen neuen Receiving-Yards.
Dennoch waren sie schnell wieder da, die Zweifel, die Mack Brown schon während seiner ganzen Karriere als Head Coach von Texas begleitet hatten. War der Triumph in der Rose Bowl nur ein glücklicher Ausrutscher? Kann Brown die großen und wichtigen Spiele nicht gewinnen? Die Sorgenfalten in den Gesichtern der texanischen Fans waren auf jeden Fall klar zu erkennen, als ihre Mannschaft mit einem Defizit von sechs Punkten in den Schlussabschnitt ging.
Was aber im langen Schatten der Niederlagen gegen Oklahoma untergegangen war, ist die Fähigkeit von Browns Mannschaft Rückstände aufzuholen und bereits verloren geglaubte Spiele in Siege umzuwandeln. Zugegebenermaßen gelang dies meist gegen Gegner, die Texas ohnehin dominierten hätte müssen und gegen die es gar nicht in einen Rückstand geraten hätte dürfen.
Der uneingeschränkte Superstar der Mannschaft, Quarterback Vince Young, der vor allem wegen seiner unglaublichen Scrambling-Fähigkeiten Schlagzeilen macht, war in den ersten drei Vierteln von der starken Buckeye-Defense unter Kontrolle gehalten worden. Jetzt war die Zeit gekommen, in der er beweisen musste, dass er auch über das Passspiel verfügt, das ihn zu einem würdigen Kandidaten auf die Heisman Trophy macht. Nachdem Ohio State Kicker Josh Huston nach fünf erfolgreichen Treffern zu ersten Mal an diesem Abend einen Field Goal Versuch neben die Goalposts setzte und somit die 6-Punkte-Führung (22:16) der Nordstaatler nicht ausbauen hatte können, war es Young der sein Team an die 24-Yard Linie der Buckeyes führte und schlussendlich mit einem spektakulären und punktgenauen Pass auf Sophomore WR Limas Sweed für eine 23:22 Longhorns-Führung sorgte. Ein Forced Fumble von DB Drew Kelson besiegelte schließlich den Sensationssieg für Texas, das trotz seines Rankings an zweiter Stelle der Polls als Außenseiter in Spiel gegangen war.
Die Wochen nach dem Triumph von Columbus brachten dann zwei weitere Siege für die Longhorns. Das Heimspiel gegen Rice (51:10) konnte ebenso leicht gewonnen werden, wie auch das Aufeinandertreffen mit Missouri (51:20).
Nur ein Sieg gegen Oklahoma zählt
Nun wartete wie jedes Jahr im Oktober alles auf das Duell mit Oklahoma, das nach überraschenden Niederlagen gegen TCU und UCLA mit einem enttäuschenden 2-2-Record und als klarer Außenseiter ins Spiel ging. Der Stachel von fünf Niederlagen in Folge gegen den Erzrivalen saß in Austin jedoch trotz der Erfolge gegen Michigan und Ohio State noch immer tief. Eigentlich war jedem klar, dass Texas in diesem Jahr gewinnen muss und das Tor zum National Championship Game, das am 4. Jänner des kommenden Jahres in der den Longhorns bereits bestens bekannten Rose Bowl zu Pasadena ausgetragen wird, so weit offen steht, wie nie zuvor, die Zweifel waren aber noch immer tief in den Herzen der meisten Longhorns-Fans verwurzelt. Nur ein Sieg in der „Red River Rivalry“ gegen Oklahoma, die jedes Jahr auf neutralem Boden in der Cotton Bowl von Dallas ausgetragen wird, war in der Lage diese Zweifel zu eliminieren und die Demütigungen, die man in der vergangen fünf Jahren durch die verhassten Sooners hinnehmen musste, vergessen zu machen. Je näher das Spiel rückte, desto mehr war die von der Angst einer weiteren peinlichen Niederlage geschürte Nervosität am Campus zu spüren.
Dass das heurige Team von Texas nicht mehr viel mit den „Underachievern“ der vergangenen Jahre zu hat, wurde schlussendlich aber in beeindruckender Manier unter Beweis gestellt. Die Turnover-Anfälligkeit der Offense konnte zwar noch nicht zur Gänze abgestellt werden, ansonsten drückten aber die Mannen in burnt-orange dem Spiel über 60 Minuten ihren Stempel auf.
Big Plays wurden quasi in der Großpackung geliefert. Drei spektakuläre Touchdown-Pässe von QB Vince Young sorgten ebenso für Jubelorgien der Longhorns-Fans, wie auch ein 80-Yard-Touchdown-Lauf vom sensationellen Freshman-Running Back Jamaal Charles. Für den krönenden Abschluss und den 45:12-Endstand sorgte dann die Verteidigung der Texaner. Nachdem die Defense praktisch das ganze Spiel über eine herausragende Leistung bot und nur 171 Total Yards der Sooners zuließ, konnte DT Rod Wright, im kommenden Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Top 15 Pick im NFL Draft, den nach einem Fumble eroberten Ball über 67 Yards in die Endzone tragen.
Ja, die Longhorns und ihre Anhängerschaft, die sich über vier Stunden bei nahe durchgehend lautstark bemerkbar gemacht und, auch wenn das Gesangsrepertoire nicht weit über die Klassiker „Texas Fight!“ und „OU Sucks!“ hinausging, für Gänsehaut-Atmosphäre gesorgt hatte, konnten nach fünf Jahren voller Frustration die Fair Grounds von Dallas in der Gewissheit verlassen, endlich wieder die Hauptattraktion der Texas State Fair, in deren Rahmen das Spiel traditionell über die Bühne geht, gewesen zu sein. 2005 konnte man im 100. Aufeinandertreffen mit OU endlich den 56. Sieg einfahren. 2005 konnten die 38.000 Longhorns-Fans die rund 200 Meilen über den Interstate-35 zurück nach Austin im Bewusstsein bestreiten, dass die wirtschaftliche und kulturelle Überlegenheit über Oklahoma, von der die Texaner überzeugt sind, auch auf dem Footballfeld bestand hat.
Am Campus eines National Champions?
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