Pittsburgh Steelers
Gerade in Pittsburgh darf man sich nicht verschauen: Die Franchise, die sich durch die größte Konstanz und Unbeweglichkeit auszeichnet, erlebt heuer ein vergleichsweise schieres Chaos an Veränderungen. OffCoord Bruce Arians ist nun in Indy, Todd Haley übernimmt das Ruder. LB James Farrior und DE Aaron Smith wurde die Erlaubnis gegeben, endlich ein anderes Dasein als das Steelersein zu finden. Der eine hat über ein Viertel, der andere über ein Drittel seines Lebens als Steelers-Verteidiger verbracht. Man stellt sich fast Shawshank-artige Bilder vor, wie sie in eine Welt entlassen werden, die ganz anders ist, als jene, die sie in Erinnerung haben.
Die Veränderungen sind notwendig (und smart), da sie spezifische Probleme adressieren, die das Team zuletzt hatte. QB Ben Rothlisberger spielt einfach auf einem anderen Niveau, wenn er nicht verletzt ist. Die Tatsache, dass er der meistgesackte QB der NFL ist, sollte also logischerweise jedem Head Coach zu denken geben. Hier kommt Haley ins Spiel: Er ist zwar kein Apologet des Laufspiels per se, aber er versteht es im Gegensatz zu Arians deutlich besser mit Max Protection und Routenwahl seinen QB aufrecht (und gesund) zu halten. Die Sacks, die Big Bens Effizienz gefährden, konnte man letztes Jahr mehr und mehr seiner O-Line zuschreiben, anstatt seiner üblichen Veranlagung, den Ball zu lange zu halten. Daher wurde mit T Mike Adams und dem schon verletzten G David DeCastro im Draft aufgerüstet. Beide wären vor allem für ein neu akzentuiertes Laufspiel rund um RB Rashard Mendenhall und RB Isaac Redman genau die richtigen. Auf WR ist mit Mike Wallace einer der giftigsten Deep Threats der Liga zu finden – und das trotz einem etwas bitteren Holdout, in dem das Team den Vertrag, den er vorerst mal abgelehnt hat, einfach nur in der Adresszeile änderte und schnurstracks #2 WR Antonio Brown überreichte. Aber für ein Jahr hält der Frieden wohl noch.
Defensiv war letztes Jahr, leicht, aber doch, ein Abfall in der Laufdefense zu spüren: Die Steelers waren plötzlich nur Ligadurchschnitt. Natürlich kann das die drittbeste Passverteidigung etwas entschärfen, aber gerade in der Box zeigte sich das fortgeschrittene Alter immer mehr und mehr auch in Verletzungen, die die Leistung beeinträchtigten. Die Steelers haben auf lange Sicht brav gedrafted um der Generation Smith (36), Farrior (38) und den noch am Roster stehenden Leistungsträgern NT Casey Hampton (35), DE Brett Keisel (34) und LB James Harrison (34) genug Nachwuchs gegeben, was zusammen mit der ewig gesicherten Stabilität in DefCoord Dick LeBeaus System für kaum turbulente Übergangsjahre wie heuer führen sollte. Der berggroße Huskie NT Alameda Ta’amu (4. Runde heuer), DE Cameron Heyward (1. Runde 2011), OLB Jason Worilds (2. Runde 2010) und DE Ziggy Hood (1. Runde 2009) sind der neue Nukleus, und auf ihren Schultern wird es liegen, mögliche Ausfälle wie jene von Harrison (seine Knie-OP Mitte August macht ihn für den Saisonanfang höchst fraglich) zu kompensieren. Problematisch wird die Strategie erst, wenn sich der neue Nukleus selbst verletzt: Drittrunden-Rookie LB Sean Spence, der den als Stopgap geholten Larry Foote innen auf Dauer ersetzen sollte, ist out for season, und Worilds ist wie Harrison nach einer OP erst jetzt von der PUP-List geholt worden. Vor so viel Pech ist kein Team gefeit, aber man kann Head Coach Mike Tomlin nicht vorwerfen, sich nicht um die Alterung seiner Box gekümmert zu haben.
Im Backfield stehen die Verhältnisse rund um S Troy Polamalu noch immer solide aus. Platz 3 gegen den Pass ist hauptsächlich seiner alles dominierenden Spielintelligenz und CB Ike Taylors fantastischer Coverage geschuldet. Die Abgänge von CB Bryant McFadden und CB William Gay eröffnen Depth-Fragen: Keenan Lewis tat sich als Nickel schwer, auch wenn sein Tackling alle überraschte. Ausgerechnet außen als Starter wird es ihm aber vermutlich am wenigsten helfen, wenn seine Coverageskills sich nicht verbessern. Hinter ihm steht mit Cortez Allen und Curtis Brown unerforschtes Land. Aber wie gesagt, alles, was hier auf eine „neue“ Steelers-Mannschaft hinweist, dürfte nicht so drastisch sein, wie es sich in der Preseason liest. Das hier ist immer noch fundamental ein Playoffteam, und es müssen etliche Stricke rund um Haleys Playcalling und LeBeaus junger Generation reißen, damit die Steelers klar jemanden in der Division an sich vorbeiziehen lassen. Auch wenn, wie letztes Jahr, mittlerweile zwei Anwärter eigentlich alljährlich nur darauf warten.
Baltimore Ravens
Und die Ravens schafften das Kunststück sogar letztes Jahr. Ihre Formel ist wie jene der Steelers träge und anachronistisch: Während die meisten Teams ihr Passspiel-Playbook verdoppeln und –dreifachen, bleib OffCoord Cam Cameron bei einem fundierten Lauf, Bombe, Lauf, Screen, Lauf, Play Action, Lauf Plan, der sich vermutlich – hoffentlich! – nicht aus seiner mangelnden Kreativität erklärt, sondern aus dem Talent: QB Joe Flacco kann einfach nicht alle Würfe machen, und RB Ray Rice ist der mit Abstand beste Spieler seiner Unit. Kein Wunder, dass er die Offense tragen muss. Kein Wunder, dass bei all der I-Formation-Verliebtheit der WR #3 letztes Jahr ganze vier – ja, 4! – Catches hatte. Dagegen wirkt sogar San Francisco wie eine Spread-Hochburg. WR #1 und #2 sind mit Anquan Boldin und Vorjahresüberraschung Torrey Smith zwar solide besetzt, aber die Offense versetzt mit ihrem Fehlen jedweder Timing-und Rhythmus-Aspekte und der morbiden Slow Death-Variante eines Uhrenverschlingers niemanden in Schrecken, außer die Zeit selbst. Die Ravens hassen die Zeit.
Ray Lewis, DER Raven, ist das perfekte Sinnbild dafür. Er kennt die Zeit nicht einmal und ist vermutlich seit Jahren in einem langsamen Abfallen verfangen, das sogar auch strategische Umänderungen abverlangt, aber wer merkt das schon? DefCoord um DefCoord wechseln „heuer wirklich“ zu einer hybriden Front, die Lewis’ schwindende Agilität kompensieren soll, DefCoord um DefCoord wird, nachdem die Ravens abermals eine Top 5 Defense auf die Beine gestellt haben, zum Head Coach woanders, etc. pp. ad infinitum. Die Zeit bleibt nicht einfach nur stehen in Baltimore, sie verkriecht sich wie eine Schnecke zu einem zyklischen Ringelspiel. Flucht nach vorne, was hinten ist, was vorne ist. Natürlich ist das Fenster heuer „wirklich“ fast zu, da Lewis und sein baldiger Hall of Fame Kollege S Ed Reed nicht mehr lange die D tragen können. Natürlich ist das Fenster erschreckend klein geworden, seit Defensive Player of the Year LB Terrell Suggs für einen großen Teil und vielleicht die gesamte Saison ausfiel und sein komplettes Skillset an Pass Rush, Laufdefense und Coverage mitnahm. Baltimore hat noch immer einen Haloti Ngata vorne, der seinesgleichen sucht im D-Line-Land, und dahinter kommen mit OLB Paul Kruger und DE Pernell McPhee Leute, die sich schon unter Beweis gestellt haben (die beiden waren zweiter bzw. dritter am Team in Sacks). Mit Rookie-LB Courtney Upshaw kommt wer nach, der alle Motivation der Welt hat, sich in dieser Traum-Defense unter Beweis zu stellen, solange sie noch da ist. Up and coming ist auch CB Jimmy Smith in seinem zweiten Jahr, was den Ravens zusammen mit Ladarius Webb ein böse gutes CB-Duo gibt.
Die Special Teams versetzten John Harbaugh einen Schrecken letztes Jahr, als sie auf aller Linie – auch jenseits des Playoff-Debakels – versagten, und man darf gespannt sein, was hier passieren wird. Der neue DefCoord heißt Dan Pees und wird vermutlich bald Head Coach der Cleveland Browns oder der Minnesota Vikings oder so sein. Der neue Ray Rice ist der alte Ray Rice. Die Ravens werden gut sein. Lather, rinse, repeat.
Cincinnati Bengals
Aber stopp, hier hört die Stabilität auf, oder? Die Bengals! Mehr up and down und dynamisch geht ja wohl kaum! Von Jahr zu Jahr wird hier zwischen 4-12 und 10-6 gewechselt! Die Top 3 Receiver von 2011 hatten zusammen 0 Receptions 2009! Und sie kamen mit einem Rookie auf QB und WR in die Playoffs!
Nun ja, die Bengals sind, auch wenn es nicht so wirken mag, eigentlich ein Musterbeispiel an Mittelmaß, dass von Strength of Schedule umhergeschleudert wird. OffCoord Jay Grudens Offense rund um QB Andy Dalton und WR A.J. Green war um nichts effizienter als das altbackene Opus Magnum in gefühlt achtundsiebzig Teilen, das Bob Bratkowski, Carson Plamer und Chad "Zidane" Johnson jahrelang fabriziert haben. Das Laufspiel rund um WR Cedric Benson war fragwürdig. Die Line war wie jedes Jahr unterdurchschnittlich im Laufspiel, weshalb man G Travelle Wharton und Badger-Zweitrunden-G Kevin Zeitler holte, aber im Passspiel wieder mal superb dank dem immer unterschätzten LT Andrew Whitworth. Nur auf wen der gut geschützte Dalton jenseits von Green werfen soll, ist noch unklar. Rookie WR Mohamed Sanu könnte hier für Überraschungen sorgen, allein schon wegen mangelnder Konkurrenz. Auf RB ist BenJarvus Green-Ellis ein bisschen gefangen im typischen Post-Patriots-Bust-Szenario. Ob er frisch aus einer 3.7 YPC-Saison kommend das Fundament bietet, ein feature back zu sein, bezweifelt nicht nur Bill Belichick.
Die Defense zeigte letztes Jahr Lebenszeichen: DT Geno Atkins war eine Wucht innen, und im Draft wurde mit Devon Still und Brandon Thompson viel massiges, junges Blut in die Line injiziert. Die LBs sind rund um den eher schwächelnden und in den Playoffs massiv vorgeführten MLB Rey Maualuga eher eine Baustelle, und weder Many Lawsons Coverage, noch der von seiner letztjährigen Verletzung zurückkehrende Passrush-Spezialist Dontay Moch wird Gegner wohl so sehr in Schrecken versetzen, wie die Möglichkeit, dass Vontaze Burficts‘ geballte James-Harrison-Impersonation – samt Playmaking und Blutrausch – tatsächlich eventuell sogar aufs Feld kommen könnte. Auf CB vermisst man noch immer Jonathan Joseph, der nach Houston wanderte letztes Jahr und in den Playoffs ganz treffsicher Green und Cincys Aufstiegschancen ausschaltete. Wenn CB Leon Hall gesund bleibt und Erstrunden-CB Dre Kirkpatrick das mit dem Kiffen lässt und sein von Nick Saban aufgebautes Talent entfalten kann, haben die Bengals plötzlich auch eine Secondary, die sie auf Ligadurchschnitt halten könnte. Und sollten die Bengals jemals einen guten Safety entwickeln – Boise State Rookie George Iloka hätte auf lange Sicht bestimmt gute Chancen darauf – könnten sie sogar von dem Ausweg aus der Schedule-Abhängigkeit träumen.
Cleveland Browns
Davon noch weiter entfernt sind aber wohl die Browns. Während im Rest der Division die Zeit stehen bleibt, geht Mike Holmgren mit ihr schlimmer um als ein Alkoholiker mit der Flasche. Er verliert sie ebenso sehr, wie er sie ungeduldig verschlingt. Ein Jahr wurde verschwendet, weil 4 Spiele gegen Ende von 2009 gewonnen wurden, was Eric Mangini ein weiteres Jahr als Head Coach einbrachte und QB Colt McCoy nach Cleveland holte. Man verlor 2010 an Verletzungen und Lernphasen, und fing 2011 aber ganz hurtig wieder von Null an mit Neo-HC Pat Shurmur. Dieser wirft nun nach einem Aufbaujahr nicht nur McCoy, sondern auch die aktuelle Entwicklung der NFL aus dem Fenster, indem er für einen RB im Draft raufwanderte und dann später einen bald 29 jährigen Rookie-Starter auf QB holte. Man fängt also nicht wieder bei Null an, sondern irgendwo zwischen -5 (so viele Jahre ist es her, dass ein Franchise-RB, der wirklich sein Team tragen konnte, hoch gedrafted wurde) und -7 (so viele Jahre müsste QB Brandon Weeden jünger sein, um langfristig dem Franchise Stabilität bringen zu können).
Holmgren hofft, dass RB Trent Richardson mit den Gegnern noch schlimmer umgeht, als er mit der Zeit. Richardson wird enormes Talent nachgesagt, und er wird als Bell Cow wohl oder übel über viel verbrannte Erde laufen müssen, während hinter ihm Weeden lernt. Beide sehen sich einer problematischen Line gegenüber, die mit Mitchell Schwartz in der zweiten Runde sicher nicht alle Löcher stopfen wird können. Und da die Browns letztes Jahr die Liga in Drops anführten, weiß man gar nicht, wie gut man Weedens Rookie-Jahr in Anbetracht seines Supporting Casts einschätzen wird können. Weeden ist ein schlauer und auf seine eigene Art und Weise natürlich auch erfahrener Mann, aber er spielte Baseball in seiner physischen Primetime und brauchte drei Jahre um sich zum College-Starter als QB durchzuringen. Doug Farrar scherzte vor dem Draft, dass die Browns ja nur McCoy sechs Jahre auf der Bank lassen müssten, wenn es ihnen nur darum ging, einem „erfahrenen“ 28-jährigen Backup erstmals das Ruder zu übergeben, aufdass er der nächste Jim Kelly werden würde. Aber dazu war Holmgren wiederum vermutlich zu ungeduldig.
Defensiv schmerzt die Verletzung von Sophomore DT Phil Taylor zwar, da Partner DT Ahtyba Rubin gegen den Lauf nur mit Hilfe gut aussehen kann, aber Backup Scott Paxson half letztes Jahr okay aus, und Rubin war gegen den Pass auch sehr gut, was die Line als ganze – zusammen mit der hervorragenden Laufdefense von Free Agent-DE Frostee Rucker und dem letztjährigen 8.5-Sack-Rookie-Jahr von DE Jabaal Sheard – formidabel aussehen lässt. MLB D’Qwell Jackson war nach Jahren der Rehabilitation wieder Elite letztes Jahr, einzig auf OLB macht sich nach der Bountygate-Suspension von Scott Fujita und dem kolossalen Scheitern von Chris Gocong gähnende Leere breit. Im Backfield steht und fällt alles mit den jungen Grundbausteinen CB Joe Haden und S T.J. Ward, die beide aber genug Athletik und Köpfchen haben, um in einer Division, die von Flacco, Dalton und Big Ben beworfen wird, dominieren zu können. Zweitjahres DefCoord Dick Jauron hat also genug Spielzeug rumliegen, um das Chaos, das auf der offensiven Seite des Teams wuchert, zumindest ein wenig abzufangen. Ob das die Browns auf lange Sicht aus dem Keller de Division holen wird, wird sich erst zeigen. Aber wenn es eine Division gibt, in der sich Defense-First-Teams mit einem fast schon kabarettistischen Verweigern gegenüber aktuellen Zeitgeistern über Jahre hinweg rehabilitieren und halten können, dann ist es wohl die AFC North.