Der neue Cheftrainer des Österreichischen Herren-Nationalteams tritt ein schwieriges Erbe an. Der Rücktritt von Bernhard Binstorfer lag u.a. darin begründet, dass die Vorbereitung auf die B-EM für ihn als Head Coach mehr als nur mangelhaft vonstatten gehen soll. Die Streichung von Terminen und Camps, nach Widerstände seitens einiger AFL-Klubs gegen Binstorfers Vorbereitungs-Agenda, führten schlussendlich zur Trennung.

Daran hat sich für Rhoades inhaltlich nichts geändert. Ganz im Gegenteil, gesellten sich kürzlich weitere Herausforderungen hinzu.

Nach langer, eventuell sogar überlanger Bedenkzeit, entschied sich der Dragons Head Coach Ivan Zivko nun dazu, doch lieber nicht dem neuen Trainerstab als Offense-Coordinator angehören zu wollen. Weniger überraschend war, dass Claus Neumann nicht mehr die O-Line trainieren wird, denn der kündigte schon bei seinem Wechsel zu den Dragons an, dass er nun wieder im Klub-Football tätig sein will. Auf der Vermisstenliste befindet sich auch noch RB-Coach Brian Caler, der einen Job als Head Coach in Kempten (GER) annahm.

Warum will Zivko nicht mehr?
Er führt persönliche, familiäre Gründe an. Mangel an Zeit und Motivation und zu hohen Energieverbrauch. Energie, die er lieber für seinen Klub speichern und später entladen möchte. Diese Einsicht fällt nicht zufällig mit dem Ausscheiden von Binstorfer zusammen, denn die beiden sind befreundet, was den Abschied zumindest nicht schwerer machte. Die Vorgehensweise nährt natürlich auch Theorien, dass die ‚Österreicher-Tümelei‘ der Dragons einem Mann wie Zivko es ja gar nicht mehr erlauben würde, dass ein Amerikaner ihm hierarchisch vorsteht. Dagegen spricht allerdings einiges. Neben der Vernunft auch noch u.a., dass sich Zivko – zumindest nach außen hin – sehr zufrieden mit der Entscheidung für Rhoades als Teamchef (der richtige Mann) gezeigt hat. Das dürfte also, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Einfluss auf Zivkos Nein gehabt haben.

Warum er dann allerdings den Verband wochenlang mit seiner Entscheidung hingehalten hat, lässt nicht nur den AFBÖ selbst ein wenig ratlos zurück, deren Präsident Michael Eschlböck eigentlich mit Zivko rechnen durfte. Zumindest sendete der (Zivko) Signale aus, so Eschlböck, dass er wohl dabei sein wird. Es war am Ende eine Überraschung für viele, dass er es nun nicht ist.

Es gab auch Gespräche, noch bevor Rhoades fixiert wurde, mit Zivko und Chris Calaycay (Vikings), in denen sie ihre Wünsche und Gedanken äußern konnten. Es stand dabei ein System ohne Head Coach im Raum, ebenso wie die Möglichkeit, dass einer der beiden die Position übernimmt.

Am Ende wird es wohl eine Mischung aus mehreren Faktoren gewesen sein, die Zivko zu seiner Absage bewogen haben.

Was macht die Offense?
Die Frage ist nun, wie der neue Teamchef die Abgängen zu kompensieren gedenkt. Der neue O-Line Coach steht mit Raiders-Trainer Nicholas Johansen bereits fest. Wer der neue Offense-Coordinator wird, ist noch offen. Selbst die Frage, ob es überhaupt einen zusätzlichen Mann noch geben wird, ist noch nicht beantwortet, denn Rhoades hält es für nicht ausgeschlossen, dass er selbst diese Aufgabe übernimmt. Eine endgültige Entscheidung darüber ist aber noch nicht gefallen.

Soweit sind die Personalangelegenheiten geklärt, bzw. noch offen, wie schaut es aber mit den Inhalten aus?

Rhoades cancelt Camp
Im kommenden Mai hätte es ein Nationalteam-Mini-Camp geben sollen, welches Rhoades kurzerhand absagte. Was auf den ersten Blick überrascht, erklärt der Amerikaner mit der ihm zu eigenen Gelassenheit.

Er sehe keinen Sinn darin, sich mitten in der Saison nur ein Mal mit Spielern zu treffen, die in unterschiedlichen Systemen trainieren, um zu versuchen, in ihren ja bereits schon vollen Köpfen ein weiteres System einzuführen, welches sie bis zum August wohl wieder vergessen hätten.

Sein Konzept sieht vielmehr so aus, dass nicht die Spieler zum Mini-Trainingscamp kommen, sondern die Trainer zu den Spielern und das die Zeit, die dem Nationalteam seitens der Klubs zugebilligt wird, zusammengefasst und als Konzentrat ‚konsumiert‘ wird.

Das bedeutet, dass die Coaches die Nationalteamspieler vor Ort besuchen werden, es viele kleinere Meetings und nach Ende der Saison, kurz vor der B-EM, ein einwöchiges Camp geben wird.

Scouting für die B-EM
Wie werden die Spieler ausgesucht? Rhoades hat bereits eine provisorische Liste an Spielern, die auf dem bisherigen Kader basiert. Das ist die Grundlage. Er wird sich Zeit lassen und Spieler, die sich während der kommenden Saison hervortun, berücksichtigen. Die Spieler der AFL sieht er Live und auf Video, durch die Inter Divsion wird er auch Spieler der zweiten Liga sehen. Er will am 15. August in Wolfsberg mit den besten Spielern Österreichs antreten und nicht mit den besten der AFL.

Vollstes Vertrauen
Für AFBÖ-Präsident Michael Eschlböck ergibt der Plan von Rhoades auf Grund der Gegebenheiten durchaus Sinn. Man müsse sich, was das Nationalteam betrifft, nach der Decke strecken. Das sei im Fußball nicht anders. Didi Constantini könne auch nicht dauernd mit seinem Kader trainieren.

Rhoades genieße sein vollstes Vertrauen. Fachlich wie menschlich. Er habe das richtige Alter, könne die notwendigen Erfolge vorweisen, sei kein ‚trash talker‘, sondern ein Arbeiter und genieße daher den Respekt von allen. Er war, so Eschlböck, sein erster Gedanke nach dem Rücktritt von Binstorfer und damit sein Wunschkandidat.

Jammern auf höchstem europäischen Niveau
Eine ‚Österreicher-Debatte‘ verstehe er (Eschlböck) überhaupt nicht und werde er auch nicht führen. Es sei schließlich kein Dogma, im Nationalteam Trainer aus Österreich haben zu müssen. Das wäre außerdem ja an und für sich der Plan gewesen, findet nun aber leider nicht statt. Andere Nationen würden sich "alle zehn Finger abschlecken", hätten sie einen Trainerstab von der Qualität Österreichs. Man sollte sich vor Augen halten, dass hier mehrfache Gewinner der Euro Bowl und des EFAF-Cups an der Arbeit sind. Er hätte gerne mit Zivko und Neumann zwei Österreicher im Stab gehabt, aber dass es sich jetzt ausschließlich um Amerikaner handelt, stört ihn als Präsidenten des American Football Verbandes nicht. Es sei das beste verfügbare Team.

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