Unser Ziel war die altehrwürdige Karls- Universität, respektive die Sportanlagen derselben, gelegen an der Peripherie gut 4 Automobilstunden von unserer Hauptstadt entfernt. Wir reisten um in unterschiedlichen Funktionen an dem Spiel Turek Graz Giants gegen den tschechischen Meister Prag Lions teilzunehmen. Trotzdem geht es in dieser Geschichte nur am Rande um Football.
Die Hinreise verlief im Prinzip unaufgeregt, einzig ein gar plötzlich die gesamte Breite der soeben befahrenen Autobahn versperrender Sandhaufen und S’s eher bestimmte Aufforderung durchzufahren verursachte gewisse Irritation. Man kam gut an, sah das österreichische Team siegen und führte im Anschluss noch sogenannte kleine Gespräche.

Gegen 18:00 Uhr traten wir die beschwerliche Rückreise an. Da meine Reisegefährten um ihr leibliches Wohl zu bangen begannen, stellte ich ihnen einen Halt in einem kleinen tschechischen Dorf in Aussicht – am Weg nach Wien gelegen – welches mir ob ein einer recht an- und bodenständigen Schenke in welcher ich auf meiner früheren Reisen eingekehrte erinnerlich war.

Ich erzählte von einer recht ansehnlichen Servierkraft, die zudem des Deutschen kundig war, der ansprechenden Güte des Dargereichten aus Küche und Keller und den gar wohlfeilen Preisen. Meinen Weggefährten konnte besagte Schenke ob des Geschilderten nicht rasch genug erreicht werden. Meter um Meter des zurückgelegten Weges tönte die kleinkindliche Frage sind wir schon da? abwechselnd aus ihren Mündern, während das tschechische Hügelland an den Fenstern unseres Automobils vorbeizog.

Noch ehe das Fragen in Knurren umschlagen konnte, kam das – nicht zwingend liebliche, aber immerhin besagte Gaststätte beinhaltende – Dorf in Sicht. Vorfreudige Unruhe begann die Reisegefährten zu erfüllen. Wir hielten, versorgten das Automobil auf dem der Schenke gleich jenseits der Straße gelegenen Halteplatz und betrachteten ob des Erreichens freudig unser Ziel: Zum Turek

Ob dieser mit dem Sponsor der Giganten aus Graz – oder einem seiner Vorfahren – verwandt, verschwägert oder sonst wie in Beziehung steht war natürlich eine sogleich auftretende Frage, welche jedoch unbeantwortet bleiben muss.

Ich betrat also vor R und S das schlichte Lokal und vermeinte sogleich besagte Servierkraft von hinten an den langen dunkelblonden (sie reichten bis zum untersten Wirbel) Haaren zu erkennen. Sie erschienen mir jedoch ein wenig ungepflegter als vor einigen Jahren zu sein. Durch das postkommunistische Ächzen der Türe von der Ankunft neuer Gäste informiert, drehte sich die langhaarige Gestalt um – und hatte zu meinem und auch R’s und S’s Leidwesen gar wenig mit der von mir geschilderten Anmut gemein. Der langhaarige Kellner begrüßte uns freundlich auf Tschechisch während wir noch entgeistert auf sein bis zum Nabelansatz offenes Hemd starrten. Knurrende Mägen obsiegten über die erste Enttäuschung und so nahmen wir an einem Tischlein Platz. Fortsetzen wird den Bericht über den weiteren Verlauf des Abends nunmehr R, ob seiner besseren Platzwahl. Nur soviel sei noch vorweggenommen: die englische! Version der Speisekarte wies auch Fried Fishfinger auf.

Danke E ab hier übernehme ich, R. Was sich in den folgenden rund anderthalb Stunden im Hotel Restaurant Turek abspielte ist, so schwöre ich, die reine Wahrheit. Wie von M erwähnt hatte ich auf Grund des Sitzplatzes die bessere Sicht auf das Herz dieses Lokals. Eine Durchreiche, ca. 70×70 cm, zwischen Küche und Schankraum.

Vorab sei noch gesagt, dass unser Auftauchen in diesem Etablissement kurzfristig für Verwirrung beim Stammpublikum sorgte. E&M in der Frackwäsche, ich mit Designerjeans der Marke Berufsjugendlicher, hoben sich vom Rest der Gäste zumindest optisch etwas ab. Ich sag nicht wir wären besser gekleidet gewesen, aber wir sahen definitiv anders aus als alle anderen in dem Lokal. Die Blicke waren nicht feindselig, sondern eher neugierig. Trotzdem beschlich zumindest mich ein ungutes Gefühl, bin ich auch davon überzeugt, dass solche Feine Pinkel aus der Stadt geraten in der Einöde in verdammte Schwierigkeiten Filme wie From DuskTill Dawn oder Beim Sterben ist jeder der Erste einen wahren Hintergrund haben. Ich bin überzeugt, dass es sie alle irgendwie auch gibt. Die Hexe von Blair, den Kettensägenmann aus Texas Chainsaw Massaker, die kichernden Inzest Mutanten aus Wrong Turn und Rostiger Nagel aus Joyride. Es hätte mich also zu keiner Zeit gewundert, hätte man dem Laden, nachdem wir Platz genommen haben, dicht gemacht, die Rollläden runter gelassen und die Menschenmasken abgenommen. Wir sind es, euer schlimmster Albtraum und wir haben etwas gemeinsam. Nämlich HUNGER!

Die unangenehme Zombie Sache blieb uns (fast) erspart, verdächtig blieb aber die übertriebene Freundlichkeit, die man fast schon als devot bezeichnen hätte können, des langhaarigen Kellners. Will er gar unser Auto klauen? Er schwirrte um uns herum wie die Schmeißfliege um den Saftbraten, entwickelte einen unheimlichen Eifer darin uns jeden Wunsch möglichst rasch von den Lippen abzulesen. Dabei waren unser Wünsche an sich sehr bodenständig. Drei Bier, zwei Cordon Bleu, ein Steak. Nur S&E mußten wieder mal ihre Extrawürstchen anmelden. E bestand darauf, dass er sein Steak blutig serviert bevorzugen würde, was der Gollum Kellner (Mein Herr, Mein Schatz) nicht kapieren wollte. E probierte es mit Pantomime, zeigte seine Krallen, fletschte die Zähne, sagte ganz tolle Sachen wie Blut, blutig, bloody, raw, not well done! Ja M! Super M! Ruf Sie bitte auch noch herbei, die Werwölfe, Bluttrinker & Menschenfresser mit solchen verdammten Codewörtern! Redrum hast du noch vergessen! Er stellte das tödliche Activity ein und gab am Ende halbfragend von sich Short from the Pfanne direct on the Teller? Tolles Esperanto E! Der Kellner tat so als verstünde er nichts, E gab sich damit zufrieden, dass er ein Steak bekommt, egal in welchem Aggregatzustand. S wiederum erwies sich als Kartoffelallergiker (Ich hab als Kind schon Pommes gehasst) und modifizierte die Beilagen zu seinem Cordon. Ich will bitte Reis zum gefüllten Schnitzel. Aber sicher doch. Vielleicht noch ein Trüfferl drüber?

Was sich aber erst später als Fehler herausstellen sollte. Wir waren schließlich nicht im Ritz, sondern in einem böhmischen Landwirtshaus. Nur die versuchten dort ihre niemals verliehenen 5 Sterne zu polieren & den einzigen drei bislang in Zeletava erschienen Touristen zu zeigen, wo der Jaromir den Jagr herholt. So begab sich die Crew dort an die Arbeit und wir genossen unser Kohlensäurebefreites Bier. Es sollten noch einige Gerstensäfte dauern bis sich etwas tat. Nach einer halben Stunde fragte mich E, sein Magen knurrte und verlangte nach Einlagen, was sich denn so in der Küche tue? Allerhand war dort los. Geschäftiges Treiben, zwei Personen flitzten vor diversen Pfannen und Gerätschaften umher, man sah das Feuer vom Gas, dampfende Pfannen & eine glühende Fritteuse. In meinem Sichtfeld befanden sich die (zwei?) Köche von den Schultern abwärts bis zur Hüfte, also sah ich keine Gesichter. Dann, fast gleichzeitig als E fragte, reichte jemand etwas durch die Öffnung. Es war eindeutig das Steak von E, der sich nachdem ich von der frohen Kunde Bericht erstattete hatte, seine Hände rieb und die Messer bereits wetzte. Doch er hatte sich viel, viel zu früh gefreut.

Erst 15 Minuten später waren die beiden Cordon Bleus fertig und es klingelte im Schankraum. Der Kellner begab sich im Laufschritt zur Durchreiche, verharrte aber vor den Speisen. Ein kurz Tupfer mit dem Zeigefinger auf das Steak – das war natürlich nach einer Viertel Stunde kalt. Wie ein Rohrspatz schimpfte er gebeugt durch die Reiche in die Küche. Leute, das Steak ist kalt!! Also nahm der Koch das Steak und warf es weg. Noch drei Bier bitte. Und drei Schnäpse, denn falls sie glauben er hätte wenigsten S und mir die Cordons gebracht – Fehlanzeige! Das gleiche Spiel von vorne, dieses Mal mit den Schnitzeln. Das Steak war fertig, der Koch klingelte, die Cordons waren kalt, der Kellner fluchte. Alles retour. Noch drei Bier bitte.

Der Koch geriet in Ekstase, flambierte das Steak, jonglierte mit Tomaten & holte Pommes aus der Friteuse. Verdächtig braun waren Sie. Er schupfte sie auf den Teller, zuckte mehrmals mit den Achseln, nahm ein Stück Pommes, steckte es sich in den Mund (was ich nicht sah, aber er führte eines Richtung Kopf und hatte danach keines mehr in der Hand), zuckte nochmals mit den Achseln und stellte danach den Daumen nach oben. Bingo – Volltreffer. Der Koch findet die Pommes gut, jetzt muß er nur noch den Kellner überzeugen.

Nach ein wenig mehr als einer Stunde war es dann vermeintlich so weit. Alle drei Gerichte kamen gleichzeitig aus der Küche durch die Reiche, doch der Kellner akzeptierte auch dieses Mal nicht was er dort sah. Ein Tohuwabohu. Der Kellner ging selbst in die Küche und schrie Koch & Gehilfen an. Noch wußten wir nicht warum. Der Kellner kam wieder – drei Bier bitte. Es täte ihm sehr leid, aber das Küchenpersonal…
Ist uns aufgefallen, paßt schon – gut Ding braucht Weile, sagte S aus einem völlig unbegründeten Optimismus heraus.

Plötzlich stand ein junger Mann vor uns neben dem Tisch. Glasiger Blick, dunkle Ringe um die Augen, fettige Haare, Oberkörper vorne über gebeugt, den Mund offen, rang er offensichtlich nach Worten. Ja bitte? fragte E. Problem sagte der Unbekannte. Oh bitte nicht das jetzt! Nicht das Wort mit den sieben Buchstaben, welches keiner in einem verlassen böhmischen Dorf in einem Wirthaus von einem tschechischen Betäubungsmittelfan hören will.
P r o b l e m
.
Nein, nein, nein – es gibt kein Problem. Der junge Mann streckte die Finger aus und hob beschwörend beide Arme in die Höhe. Es vergingen gut 5 Sekunden, dann kam er raus mit der Sprache. We have no rice! Es war der Koch!

Sie haben keinen Reis!? Na das macht doch nichts, dann nehmen wir eben Pommes. Ja, aber ich mag doch keine … Gusch S! Willst Bramburi oder nichts zu deinem Cordon? Bramburi…wenn’s sein muß. Muß sein! Aufatmen bei allen Beteiligten.

Kurz danach servierte man uns 2 Cordon Bleus der Extraklasse (Fleisch saftig, Kruste knusprig) anbei ein Salat mit frischen Gurken & Tomaten, dazu Pommes die etwas zu lange in der Friteuse waren, aber manche gerne genau so haben wollen. E bekam eine blutiges Steak, zart und saftig, einfach genial. Serviert wurde das ganze auf großen Tellern mit Kräuterrand, während des Verzehrs saß die ganze Seite der Tranquilizer Koch neben, goß sich viel Schnaps ein uns und fragte permanent nach ob das eh alles schmeckt. Und wie es schmeckte. Es war einfach köstlich, niemand wollte uns entleiben und auch das Auto stand, nachdem wir noch einen Abstecher in die angrenzenden Bar wagten, danach immer noch dort wo wir es abgestellt hatten. Ich ging davon aus, daß der Ford längst schon mit einer neuer Lackierung in den Straßen Sofias unterwegs war. Dem war nicht so.

Das komplette Menü, zwei Cordon Bleus, ein Steak, einige Biere & Schnäpse kostete 22 Euro. Das Lokal würde in Österreich wahrscheinlich binnen kürzester Zeit zu der In-Bude schlechthin werden. Das Publikum aus einem Boris Karloff Film, das Personal ausgesucht von Quentin Tarantino, ein Drehbuch von Peter Greenaway & drei Hauptdarsteller wider Willen. Eine sehr schöne Sache.

Michael Eschlböck (Einleiter)
Walter H. Reiterer (Beobachter)
Bojan Savicevic (Reisliebhaber)

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