Ein Rätsel, das sich nach drei Stunden Football nun wesentlich besser beantworten lässt. Martin Pfanner knobelt in Wien für Football-Austria.

Rückblende

Retrospektiv betrachtet war die letzte AFL-Spielzeit für die Hohenemser eine, die alsbald vergessen werden sollte. Vergraben, verscharren, nur nicht noch mal zum Leben erwecken. Denn die vor der 2006er Saison vielerorts beschworene Rolle des Geheimfavoriten ging nicht im Geringsten auf. Im Gegenteil, die Kombination Anzevino und Brashears war keinesfalls einträglich, geschweige denn gewinnbringend (Ja, im Nachhinein kann man immer den Klugen mimen). Im EFAF-Cup wurde, das der Lichtblick, das Semifinale erreicht, wo man in Norwegen den Eidsvoll 1814s unterliegen sollte. In die unrühmlichen Analen eingegangen, ruhen diese Geschichten aber nun am Vorarlberger Football-Friedhof. Im Emser Herrenried werden nun kleinere ‚Brötle‚ gebacken, die im Vergleich zu denen der letzten Saison längst nicht mehr ungenießbar sind. Der Beweis fand sich beim sonntäglichen Spiel gegen die Wiener Vikinger.

Es sollte also gleich wie im Vorjahr beginnen. Die Blue Devils in Wien gegen den amtierenden Eurobowl-Sieger. Letzte Saison stand danach eine 22:0-Klatsche zu Buche, diese Jahr präsentierten sich die Mannen um OC Joseph Julien rundumerneuert. Bei den Abgängen, Wechseln und Neuzugängen auch wenig verwunderlich.

Kennen wir das nicht schon …

Der Beginn des Spiels, das aufgrund der Aufstiegsaspirationen der Vienna kurzfristig an den Sportplatz der Simmeringer Ravelinstraße verlegt worden war, konnte sich für die blauen Teufel im Unterschied zum Vorjahr unterschiedlicher nicht gestalten. Von der eigenen 30 Yard Linie ausgehend, arbeiteten sich die Emser stetig bis zur 11 der Vikings vor, bis der altbekannte Fehlerteufel wieder zuschlug. RB Tony Sutton fumbelte den Ball, die Wiener recoverten und die Mannen rund um QB Luke Atwood ließen sich nicht lange bitten um quer übers Spielfeld zu marschieren. Die Import-Spieler Atwood, Clinton Graham und Chris Rosier konnten die Distanz bis zur Endzone quasi im Alleingang überwinden, bevor Atwood durch einen kurzen Lauf dann höchstselbst abschloss. 7:0 Vikings gleichsam das Ende des ersten Viertels und gefühlsmäßig schienen die Punt-Penalty-Turnover-Devils der letzten Saison ihre Rückkehr zu feiern. Das folgende 3&Out des teuflischen Angriffs schien dieses ersten Eindrucks auch gerecht zu werden.

Das Momentum sollte aber durch eine Interception von Devils WR/DB Christian Steffani kurz die Seiten wechseln. Der Nationalteamspieler pflückte einen Pass der an die Endzone klopfenden Vikings aus der Luft und bewahrte seine Mannschaft so vor einem noch größeren Rückstand. Nun wollte Tony Sutton zeigen, dass er vor einigen Jahren nicht zu Unrecht ins Training Camp der Cleveland Browns einberufen wurde, denn seine Rushes ebneten den Weg zum ersten Devils Score der Partie. Aus vier Yards stattete Sutton der Endzone einen Besuch ab, lediglich Kicker Remo Martinez‚ geblockter Extrapunkt verhinderte den (bis dato) verdienten Ausgleich.

Gnadenlos gut! Auf beiden Seiten

Vom fast erfolgten Unentschieden wachgerüttelt, gingen die Vikings angefeuert von den knapp 1500 Fans und dem wie immer unermüdlichen Platzsprecher Holub fortan mit gnadenloser Effektivität zu Werke. Luke ‚The Duke‘ und Clinton Graham wechselten sich beim Spiel um Raumgewinn mit schöner Regelmäßigkeit ab, hin und wieder durften auch andere mitmischen (WR Christoph Budimir fing während des Drives einen 22-Yarder). Abgeschlossen wurde diese Machtdemonstration schließlich von Graham, der sich einen Rushing-TD aus einem Yard Entfernung natürlich nicht nehmen ließ.

Angestachelt vom Erfolg der Offensive machte nun erstmals auch die andere Seite des Balles Ernst. Zwar wurde Tony Sutton beim ersten Versuch noch ein satter Raumgewinn von 15 Yards zugestanden, bei den drei folgenden war in bester Shawne Merriman’scher Tradition aber ‚Lights Out‚ angesagt. Licht fand sich nurmehr am strahlenden Himmel, am Spielfeld wurde es zappenduster. Die unbändige Schnelligkeit der Wikinger zwang die Devils zu Fehlern (z.B. Intentional Grounding von QB Toby Henry), zu einem schlechten Snap beim Puntversuch, sowie zum daraus resultierenden Turnover on Downs. Der Ball lag an der Devils 16, Clinton Graham schaltete einmal mehr einen Gang höher als seine Gegenspieler und bereite mit einem 15-Yarder einen Lauf-TD von Atwood vor, zum 21:6 für die Wiener.

Mut zu mehr Risiko

Nach diesem Score dümpelte die Halbzeit bis zum Pausenpfiff dahin, die Vikings wollten offenbar nicht so richtig, die Hohenemser konnten nicht wirklich. Auf Vorarlberger Seite scheitere man nach einer sehenswerten 54-Yard Completion auf den 17-Jährigen WR Benjamin Fussenegger in vier Versuchen innerhalb der Wiener 10-Yard Linie, auf Seiten der Gastgeber wurde eine Atwood Deflection von Devil-DL Marc Falger abgefangen. Zählbares konnte nicht produziert werden, der Griff in die Julien’sche Trickkiste (Rückwartspass von Henry auf WR Robin Haas, der Steffani in der Endzone suchte) ging nach hinten los. DB Josiah Cravalho roch die Finte und krallte sich den Ball. Dennoch Hut ab, Devils-Spielzüge dieser Art mussten in den vergangen Jahren mit dem Elektronenmikroskop gesucht werden. Ein eher lässiger Drive der Heimmannschaft besiegelte sodann die erste Hälfte.

Enorme Unterhaltung bot der dritte Spielabschnitt. Obwohl die Heimstätte dieses Mal nicht im Döbling, sondern am anderen Ende der Stadt lag, brannten die Vikings einen Drive ab, der der von Holub titulierten ‚heiligen‚ Warte alle Ehre erwiesen hätte. Innerhalb von acht Spielzügen wurde die Distanz zwischen der eigenen 15 und der Endzone überbrückt, maßgeblichen Anteil hatte einmal mehr der Jamaikaner Graham der 32 Yards und den Touchdown beisteuerte. 28:6 und das Spiel des letzten Jahres war urplötzlich wieder vor Jedermanns geistigem Auge präsent.

Lasset eure Körper sprechen

Der Unterschied lag diesmal in der Körpersprache der Vorarlberger. Wo Ron Anzevino sinnlos herumgebrüllt und Gary Brashears unsinnigerweise geschwiegen hatte, griff diesmal ein Rädchen in das andere. Der Coaching Staff rund um Julien behielt einen kühlen Kopf, die Spieler verstanden es die Anweisungen umzusetzen. Das Resultat war nicht nur grundsolide, sondern durch den 36-Yard TD Pass von Toby Henry auf Christian Steffani auch noch unheimlich spektakulär (2 Point Conversion no good). Auch wenn die amtierenden Eurobowl-Sieger im Gegenzug abermals einen TD folgen ließen (RB Florian Hiess mit seinem ersten AFL-TD) und auf 35:12 davonzogen, gab es nicht wenige im Publikum, die den kämpferischen Auftritt der Emser artig beklatschten.

Ufgeaba‘, oder zu gut deutsch ‚aufgeben‚ scheint unter den neuen Devils zum Fremdwort mutiert. Im letzten Spielabschnitt trat die Vorarlberger Offensivabteilung immer wieder aufs Gas, zwar nicht immer mit Erfolg gekrönt (beispielsweise Toby Henrys Interception zu DB Gregor Pachmann), dafür wurde aber Mut zum Risiko unter Beweis gestellt. Fruchten sollte dieses Unterfangen gegen Ende des Spiels, als es für das Gratis-Eintritt Publikum die vorweggenommene Aktion des Jahres zu bestaunen gab. Der vielgescholtene Devils QB Henry bekam schnellen Druck der violetten Verteidiger und rannte um sein Leben. Nur der liebe (Football-)Gott weiß wie er einem Sack entkommen konnte, zudem dürfte sogar für diesen unerklärlich sein, wie er nach einem mindestens zehn Sekunden andauernden Scramble auch noch Christian Steffani in der Endzone bedienen konnte. Als Sympathisant der NFL-Eagles wurde der Autor dieses Berichts sofort an diese Szene von vor drei Jahren erinnert, die frappierende Parallelen zu Henrys Geniestreich aufweist.

Toby Henry = Donovan McNabb?

Diese Gleichung darf nicht aufgehen, ansonsten hätte Henry sein Berufsziel klar verfehlt. Jedoch hinterließ er insgesamt einen weit besseren Eindruck als bei seinem letzten Auftritt in Wien (jeglicher Kommentar zu diesem Thema wird Ihnen im Zuge dieses Artikels erspart bleiben). Selbiges lässt sich indessen auch über seine Mannschaftskollegen sagen. Zwischen der Crème de la Crème der AFL und den Devils ’neu‘ liegt immer noch ein gutes Stück, aber wenige hätten sich heute eine derart couragierten Auftritt der Gastmannschaft erwartet. Eine gesunde Moralinjektion und die Wiederbelebung des sagenumwobenen Teamgeistes durch Julien und seine Assistant Coaches Francisco Lujan, sowie Luis Ignacio scheinen Wunder zu wirken. Garniert mit effektiven Imports (Sutton, DB Joe Okrah, LB Dennis Dottin-Carter) und Junioren, die als Leistungsträger in die Kampfmannschaft integriert werden sollen (laut Präsident Christoph Piringer gab es vier Starter unter 18), könnten die Devils im Laufe der Saison noch den ein oder anderen Großen frotzeln. Die Vikinger vom europäischen Thron zu stoßen blieb ihnen verwehrt, vielleicht klappt es aber den Raiders, die ihrerseits mit einigen Problemen zu kämpfen haben, eine Woche vor Ostern ein Ei ins Nest zu legen.

Die Wiener schweben derweil in ganz anderen Gefilden. Die Offense agierte freilich nicht fehlerfrei, ist mit Atwood, Graham und Rosier und der mächtigen O-Line aber fast nur durch Individualfehler aufzuhalten. Unvorstellbar was passiert, wenn all die Herren am Spielfeld einen guten Tag durchleben würden. Braucht es im Moment aber gar nicht. Die Defensive spielt Hochgeschwindigkeits-Football, wie er aus der letzten Saison bekannt sein sollte, die jungen Spieler scheinen das System von Chris Calaycay gut aufgenommen zu haben. Nächste Woche soll dann versucht werden die Kräfteverhältnisse in der Tabelle, aus violetter Sicht, ins rechte Lot zu bringen. Denn dass die Wiener am Samstag zum aktuellen Tabellenführer reisen müssen, hätten vor dieser Woche nicht einmal die kühnsten Optimisten vorhergesagt. (mp)

AFL
Dodge Vikings vs. Cineplexx Blue Devils 35:18

(7:0/14:6/14:6/0:6)
1.500 Zuschauer
MVP: Clinton Graham (RB, Vikings)

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