Als Patriots Head Coach Bill Belichick letztes Jahr in Woche 10 mit einer sechs Punkte Führung im Rücken und zwei Minuten vor Schluss beschloss, ein 4th and 2 auszuspielen anstatt den Ball zu Peyton Manning zu punten, ergab das einen mittelschweren Skandal. Medien und Fans waren wütend, empört, entsetzt. Tony Dungy zürnte, dass Belichick gefälligst die Prozentzahlen in Betracht ziehen und punten hätte sollen. Aber Belichick spielte aus. Kevin Faulk konnte denn Tom Brady-Pass nicht früh genug sichern, und Manning übernahm den Ball an der gegnerischen 30, fand ein paar Spielzüge später Reggie Wayne zum aufregenden 35-34 Finish, und eine der geschichtsträchtigsten Rivalries der NFL wurde um ein Kapitel reicher.

Interessant an 4th and 2 war nicht nur, dass Belichick durchaus auch neutral kommentiert wurde, indem manche z.B. darauf hinwiesen, dass die Entscheidung als Geniestreich angesehen worden wäre, wenn Faulk das 1st Down erreicht hätte. Brian Burke, der Betreiber von advancednflstats.com und neben den Football Outsiders wohl wichtigster NFL-Stats-Guru, erklärte nach dem Spiel mit relativ einfachen Mitteln, dass zumindest statistisch Belichicks Entscheidung absolut Sinn machte. Die von Dungy heraufbeschworenen Prozentzahlen sprachen für das Ausspielen, nicht für den Punt. Das führte nicht nur dazu, dass Burke sich relativ bald auf ESPN wiederfand, weil er mit mathematischen Argumenten Football-Konservativismus entkräften konnte. Für viele war 4th and 2 überhaupt erst der Anstoß, sich damit auseinanderzusetzen, dass Football sich nicht in einem statistischen Vakuum abspielt, sondern durchaus evidenzbasierte Anhaltspunkte bietet, die derartige spannende Entscheidungen erklären könnten. Die Frage, wie wir mit Instinkt und Evidenz, Vorurteil und Rationalität umgehen, war für eine Zeit lang eine sehr interessante letztes Jahr, wie auch dieser lesenswerte Beitrag auf smartfootball.com zeigt.

Aber zurück zum Hier und Jetzt. Die Colts und die Patriots sind wie letztes Jahr unterwegs in die Playoffs. Die Colts (6-3) sind zwar nicht so dominant wie 2009, als sie undefeated in das (und aus dem) Spiel gegen Pats kamen, aber dafür sind die Patriots (7-2) derzeit mit dem besten record der NFL unterwegs. Die Colts erlitten ihre drei Niederlagen allesamt auswärts, zuletzt vor zwei Wochen gegen die Eagles. Vor zwei Wochen haben auch die Pats das letzte Mal verloren, als sie von Cleveland bloßgestellt wurden. Aber beide Teams konnten den Weg zurück zum Sieg finden, als die Colts letzte Woche quasi ohne Manning, und die Patriots hingegen mit sehr viel Brady ihre Spiele gegen die Bengals bzw. Steelers gewinnen konnten. Die Steelers übrigens, die auch dachten, nach einer Niederlage mit einem Sieg gegen die Bengals zurückbouncen zu können. Sind die Colts also in größeren Problemen, als es aussieht?

Ein Blick auf die Saison und die Statistiken spricht eigentlich nicht dafür. Trotz Verletzungen bei Schlüsselspielern (Dallas Clark, Anthony Gonzalez und Joseph Addai seien hier als Beispiele genannt) haben die Colts eine balancierte Offense, die Top 10 bei DVOA im Pass und Lauf ist. Die Defense ist zwar nicht so dominant und lässt allzugern Laufspiel zu, aber gegen den Pass ist sie Dank des wie immer ausgezeichneten Passrushs von Dwight Freeney und Robert Mathis noch immer Elite. New England hingegen hat eine bessere Offense, wenn nicht sogar die beste der NFL (1. beim Pass, 3. beim Lauf laut DVOA, 1. Bei Scoring), aber zum Ausgleich auch eine deutliche schwächere Defense, die heuer nur gegen die verletzungsgeplagte Steelers O-Line auftrumpfen konnte. Peyton Manning wird hier sicher Mittel und Wege finden, zu Punkten zu kommen, denn die Pats konnten bisher nur Miami und Minnesota unter 20 Punkten (aber nicht unter 400 Yards Offense) halten. Generell muss man die Colts als das rundere Team ansehen, auch weil sie heuer schon Spiele gewonnen haben, die nicht allein von Peyton Manning abhingen. Aber die Patriots sind womöglich etwas motivierter und – Tom Bradys Körpersprache nach zu urteilen – auch feuriger nach dem Sieg gegen die Steelers.

Was wir hier also sehen werden ist immer noch ein Spitzenmatchup, das aber – das muss man auch sagen – eine Reminiszenz ans letzte Jahrzehnt darstellt. Zwei Franchises, die die Nuller Jahre definiert haben, z.B. durch sensationelles QB-Play: Manning und Brady gewannen zusammen vier Superbowls und spielten in sechs. Beide Franchises legen Wert auf konsistente Aufbauarbeit und exzellentes Scouting, auch jenseits des Drafts. Undrafted Rookies spielen bei den Colts und den Patriots nicht selten besser als First Round Picks bei anderen Teams. Vier von 27 Colts TDs kamen heuer von nicht gedrafteten Rookies (drei mal Javarris James und ein mal Blair White), und dreizehn von 32 Patriots TDs kamen von nicht gedrafteten Spielern (sechs mal BenJarvus Green-Ellis, dreo mal Danny Woodhead, drei mal Wes Welker und ein mal Gary Guyton). Die Dekade dieser zwei Institutionen der NFL war gespalten: Zwischen 2001 und 2004 dominierte Brady das Duell, seither Manning. Divide and conquer. Aber es war ihre Dekade: 115 (Colts) bzw. 112 (Patriots) Siege zwischen 2000 und 2009 erreichte sonst niemand. Bei der Punktedifferenz in dieser Zeit führen die Patriots mit +1106 vor den Colts mit +983.

Selbst wenn sich beide Teams mittlerweile in einer neuen NFL neuen Herausforderungen stellen müssen (die Patriots sind zweiter in der Divison hinter den Jets, die Colts auch ungewohnt genervt von aufspielenden Divisionsrivalen), und selbst wenn die Saints letztes Jahr symbolisch in der Superbowl die Manning-Dekade zu Ende gehen lassen wollten mit einem pick six, bleibt dieses Duell immer ein Hinweis darauf, wie erfolgreiche Franchises in der NFL zu operieren haben. Und es ist ja auch noch immer nicht gesagt, dass sie nicht noch eine Dekade hinten dranhängen können.

NFL Sunday Night auf PULS 4
New England Patriots vs. Indianapolis Colts
21. November 10 | 00:45
Gillete Stadium | Foxboro
Kommentatoren: Walter Reiterer & Michael Eschlböck

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