Warum etwa soll Brasilien unbedingt Fußball-Weltmeister werden? Warum klettert Wien-Tourist Lance Gustafson während des Spieles unter der Stahlrohrtribüne herum? Was genau macht eigentlich die Firma, die Gustafson und Luke Atwood gemeinsam in den USA gegründet haben? Und was zur Hölle hat das alles mit der Chiquita Charity-Bowl VIII zu tun? Martin Kastner war für Football-Austria.com auf der Suche nach Antworten.
Die letzte Frage ist leicht beantwortet: Weil es bei einer Charity-Bowl ja nicht nur um das Spiel geht sondern (genau!) in erster Linie um den guten Zweck! Und nachdem schon der gemeine Zweck oft die Mittel heiligt, was macht dann erst der gute Zweck? Er zeigt sich als außergewöhnlicher Gameday der die Mittel in Form von 8.800 Euros für die Jugendanwaltschaft Wien auftreibt. 7.800 davon kamen vom Event und die Beerleader legten noch mal 1000 selbst gesammelte Euros drauf. Bravo!

Aber was war nun mit dem Spiel? Im Vorfeld wusste man nicht recht genau, wer oder was den dieses ‚Team USA‘ wirklich sein sollte. Ist das jetzt eine Football-Showtruppe a la Chippendales die vielleicht nach getaner Arbeit auch noch einen Strip hinlegt? Wenn ja, dann hatten die gut 4.000 Zuseher Pech, weil Wetter sehr herbstlich und wenn kalt, dann Strip schlecht, obwohl die Glieder im Laufe des kalten Nachmittags schon recht klamm und steif geworden waren auf der Hohen Warte. Oder doch eher wo wie die Harlem Globetrotters? Ein Football-Team, das nur mit Trickspielzügen der aller ärgsten Güteklasse in der Welt unterwegs ist um die selbige zu unterhalten, vielleicht sogar von der Bush-Regierung gesponsert? Ist das eine Senioren-Truppe, quasi American-Football-Masters, die ihre beste Zeit hinter sich hat und es mit geflickten Knochen zwischen Adoleszenz und Midlifecrises noch einmal wissen will? Oder gar die Amerikanische Nationalmannschaft in American-Football? Und würde die Hohe Warte dann abwechselnd zu deren Cordoba und Waterloo werden? Die Antwort könnte folgende sein: Irgendwie von allem ein wenig. Das Team USA ist keine Mannschaft, sondern ein Konzept. Das Konzept lautet: Man nehme einen Haufen recht ordentlicher Football-Spieler mit höherer College-Erfahrung, prüfe sie darüber hinaus auf deren Charakter, frage sie, ob sie eine Zeit lang durch die Welt tingeln möchten (… Have you ever been in Europe?…) und formiere sie zu einer Truppe, die abseits von Ligaspielen gegen meist europäische Mannschaften in Schaubewerben antritt und dabei üblicherweise auch noch gewinnt. Nicht aber in Österreich, da haben sie in der Vergangenheit bereits zweimal gegen die Graz Giants verloren und nun auch gegen die Dodge Vikings mit 34 zu 27.
Das Team USA, das wir in Wien zu sehen bekommen haben bestand aus einer Reihe von sehr guten Spielern, teilweise voll im Saft, teilweise aber auch schon in einem Alter, in dem die Mühlen etwas langsamer malen. Die Mannschaft hatte sich gerade formiert und man konnte vor der Charity-Bowl gerade fünf Mal in Prag trainieren und einmal auf der Schmelz in Wien. So gewappnet zog man also gegen den Europäischen Champ ins Felde!

Einige recht ordentliche Bröckerl waren da dabei bei den Gästen und bei der O-Line schien der Durchschnitt irgendwo zwischen 140 und 150 Kilo zu liegen und Joe Jackson, der Quarterback der Amerikaner, bringt auch 110 Kilo bei ca. 2 Meter Körpergröße auf die Waage. Eine ziemliche Wand tat sich da also auf vor der bekannt schnellen und aggressiven Vikings-Defense. Diese Defense musste dann gleich zu Beginn einen schweren Schlag hinnehmen, weil Mario Floredo mit mehreren Bänderrissen in der Schulter für den Rest der Saison ausfallen wird. Neil Maki verletzte sich ebenfalls in der ersten Hälfte, kam in der zweiten Halbzeit nicht mehr zum Einsatz und wird in den nächsten Spiele aber aller Voraussicht nach wieder dabei sein.

Doch halt! Bevor wir hier zu sehr ins Spiel abschweifen, müssen wir ja noch die eingehenden Fragen beantworten: Warum sollte Brasilien Fußballweltmeister werden? Ganz einfach, wir erinnern uns an die Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien als die Brasilianer im Achtelfinale knapp gegen Argentinier ausgeschieden sind und an die weinenden Sambatänzerinnen, die noch eine Stunde nach dem Schlusspfiff auf der Tribüne kauerten und bitterlich heulend in die brasilianische Nationalflagge schnäuzten und bestimmt der Meinung waren, dass nie wieder alles so sein wird wie vorher. Nein, wir wollen keine Sambatänzerinnen mehr weinen sehen! Und schon gar nicht diejenigen, die auf der Hohen Warte vor dem Spiel nicht nur die Menge, sondern auch Lance Gustafson anheizen konnten (zu sehen natürlich am FA-Video). Ja genau, einer der erfolgreichsten Vikings-Spieler der letzten Jahre ist zu Gast in Wien und wurde schon letzte Woche beim Spiel gegen die Swarco Raiders gesehen. Im Football-Austria.com-Interview (Video-Interview) verrät uns Lance, dass er eigentlich bei der Charity-Bowl für die Vikings spielen hätte sollen, ihm aber einige Wehwehchen dazwischen gekommen sind und er sich daher mehr aufs Anfeuern verlegt hat. Gustafson hat inzwischen gemeinsam mit Luke Atwood in den USA ein Unternehmen gegründet, das im Bereich Sport-Equipment-Produktion tätig ist und das dabei neue Technologien (etwa auch aus dem militärischen Bereich) in die Sport-Ausrüstung einfließen lassen will. Nachdem ihm aber Wien sehr fehlt, würde er irgendwann auch gerne wieder zurückkommen um in der Vikings-Organisation zu arbeiten, vorausgesetzt natürlich das Unternehmen floriert.

Eines kann aber eindeutig gesagt werden: Lance ‚Nice Guy‘ Gustafson ist genau das geblieben: A really nice guy! Wir waren nicht wenig überrascht, Lance Gustafson unter der Stahlrohrtribüne auf der Südseite der Hohen Warte herumkrabbeln zu sehen. Auf die Frage, ob er denn was verloren hätte (passport, creditcard, money, cellphone, etc…) meinte er nur: ‚I lost my Cup‘. Dem guten Mann ist einfach nur der leere Getränkebecher zwischen den Trittflächen der Tribüne durchgefallen und für ihn war es selbstverständlich, sich deswegen durch das Steher-Gewülst unter der Tribüne zu schlängeln, um den Becher wieder zu bergen. Ja Charity macht auch vor der Umwelt nicht halt und irgendwie ertappt man sich bei der Frage, ob man als vermeintlich liberaler Mitteleuropäer mit seinem verdichteten Ökologie-Bewusstsein und dem Wissen über die Knappheit der Ressourcen und die Sensibilität der Natur nicht ohnedies auch genau so gehandelt hätte. Hmmmm…

Das Spiel, das Lance in weiterer Folge anzufeuern pflegte, erwies sich streckenweise als sehr zäh. Die Vikings wollten nach dem Spiel gegen die Raiders wieder ein wenig zu sich selbst finden, nur so richtig funktionieren wollte es vom Stand weg eher nicht. Ebenso die Gäste, die mit all ihrer Physis zu Beginn doch eher etwas eingerostet wirkten. Der riesige Quarterback warf seine ersten Pässe sehr zögerlich und ungenau und wurde bei seinem allerersten Passversuch auch gleich beinahe intercepted. Michael Werosta stellte sich beim ersten Laufversuch gleich mit einem Tackle beim RB der Gäste, Rick Jenkins vor und der Drive war zu Ende. Da war absolut kein Punch dahinter und man begann sich beinahe wehmütig an die Boys von der University of Wisconsin Eau-Claire zu erinnern, die bei der letztjährigen Charity Bowl zu Gast waren und die mit einer Geschwindigkeit, Präzision und Entschlossenheit über den Platz marschiert sind, dass man als Zuseher fast das Glitzern in den Augen bekommen hatte.

Es war natürlich schon zu bemerken, dass die Spieler der Gäste nur eine handvoll Trainings miteinander absolviert hatten, die Huddles dauerten teilweise extrem lang und Ausführung der Plays war gerade im ersten Viertel recht zauderhaft.

Den Vikings ging es nicht viel besser, aber immerhin konnte Peter Kramberger mit einem Fieldgoal die ersten Punkte auf das Scoreboard bringen, nachdem die violette Offense in der Redzone der Amerikaner hängen geblieben ist. Die beste Erscheinung in den ersten Drives machte auf Seiten der Wiener wohl Wolfgang Hable, der einige sehenswerte Catches beisteuern konnte und der später auch noch einen Touchdown erzielen sollte.

Die Gäste aus den USA konnte in weiterer Folge den Rost etwas abschütteln und begann in Ansätzen zu zeigen wo einige ihre Stärken lagen: Herausragende Receiver in den Person von #5 Jay Reed, #10 Kevin Dixon und auch #9 Chris Keck. Besonders Jay Reed sollten im Laufe des Nachmittags der Vikings-Defense noch einiges zu lösen aufgeben: sehr schnell, sehr sicher und enorm schwer zu tackeln! Mike Latek machte sich mit einem Sack bei Herrn Jackson bekannt, welcher dann aber sein Team indirekt zu einem neunen Angriffsversuch brachte, weil er von Darin Martyna quasi unsachgemäß behandelt worden ist (roughing the passer). Doch bevor die amerikanische Angriffsmaschine rund laufen konnte, konnte Shawn Leever durch eine Interception den ersten Turnover erzwingen.

Das Passing von Joe Jackson wurde dann im Laufe des ersten Viertels sicherer und es wurde langsam offensichtlicher warum er immerhin ein Div I-AA Football-Team (Florida A&M) sehr erfolgreich führen konnte. Jackson bediente perfekt seinen Receiver Kevin Dixon der dann zum Touchdown in die Endzone der Wikinger laufen konnte. Luke Atwood konnte noch für die Vikings scoren und das erste Viertel ging mit 10:7 für die Gastgeber zu Ende.

Das zweite Viertel begann für die Wiener glücklicher und Toby Henry konnte mit zwei weiteren Touchdown-Pässen auf Wolfgang Hable und Luke Atwood den Score auf 24:7 ausbauen. Den drei TD-Pässen von Henry standen aber auch zwei Interceptions gegenüber und wie so oft präsentierte sich die Performance des Vikings-Quarterbacks somit ein wenig durchwachsen. Auch Kevin Dixon schaffte noch einen Score und nachdem der PAT von den Vikings geblockt werden konnte ging es nach fast 90 Minuten Spielzeit (!) mit 24:13 für die Gastgeber in die Kabinen.

Was war sonst noch: Pasha Asiladab feierte nach seiner Verletzung sein Comeback am Feld und der starke Running Back der Vikings Clinton ‚Rubber Ball‘ Graham teilte sich die Lauf-Aufgaben mit Ralph Pointner und Axel Schwarz, der nach der Pause auch den nächsten Score der Vikings erzielen konnte. Dann war es aber wieder etwas vorbei mit der Wikinger-Herrlichkeit: Nach einigen nicht so glücklichen Laufversuchen gegen die Vikings-Verteidigung gingen die Amerikaner wieder zum mittlerweile bestens funktionierenden Passspiel über, wobei vor allem die Achse Joe Jackson auf Jay Reed (der übrigens auf 150 yards durch Catches und auf weitere 90 yards durch Returns kam) bestens klappte und sich das Team USA so bis an die Ein-Yard-Linie der Gastgeber heranschob. Verwertet wurde dann durch den Running Back Rick Jenkins und es stand 31:20.

Im Laufe des dritten Viertels zeigte sich, dass die Amerikaner doch alles andere als im Training standen. Konditionelle Schwierigkeiten wurden ebenso deutlich wir die Anfälligkeit gegen kleinere Blessuren und Verletzungen. Nicht dass die Vikings übertrieben hart gespielt hätten, aber in der Teamzone der Gäste standen bzw. lagen die Spieler vor der Physiotherapeutin Schlage um sich wieder fit machen zu lassen. Dies wird schlussendlich auch den Ausschlag geliefert haben: Die Spieler der Vikings stehen voll im Saft und man ist mitten in der Saison konditionell on top und spielerisch erfahren (auch wenn man es in dieser Partie nicht immer mitbekommen hat). Genau das konnten die Gäste aus den USA nach nur fünf gemeinsamen Trainings natürlich nicht von sich behaupten.

Die Amerikaner hatten kurz vor Ende noch die Chance zum Ausgleich aber Nico Hribernik konnte Joe Jackson intercepten und im eigenen Drive ließen die Gastgeber dann die Uhr auslaufen.

Das Laufspiel der Amerikaner kam gegen die Vikings nicht an: Gerade mal 49 yards ließen die Violetten zu. Im Passspiel sah es schon anders aus: Die Gäste erreichten immerhin 344 yards durch die Luft versus 241 yards der Vikings-Luft-Offense. In Summe waren die Angriffsleistungen nach Raumgewinn fast gleich: 393 yards der Amerikaner, 401 yards der Österreicher, immerhin beides beachtliche Offensiv-Leistungen.

Trotz des eher mäßigen Spieles bekamen wir nach dem Ende von den amerikanischen Spielern bestätigt, dass sie ein derart schwieriges Spiel nicht erwartet hatten. Coach Rudy Wyland versuchte danach sein Team mit den Worten zu beruhigen: ‚They are not the #1 football-team in Europe by an accident!‘

Ende gut – alles gut! Die Menge feierte das Gastteam mit ‚USA-USA-USA‘-Sprechchören, das Gastteam feierte die Menge zurück, gemeinsam feierte man dann neben dem Spielfeld weiter und verdrückte dabei einen gebratenen Ochsen und ein paar andere tote Tiere und alle waren glücklich. Außer den toten Tieren vielleicht.

Während das Team USA weiterzieht nach Prag um dort gegen die dortigen Lions anzutreten wird es für die Vikings nächste Woche wieder ernst: Im EFL-Halbfinale kommen Stockholm Mean Machine ins Land und es bleibt aus Sicht der Vikings zu hoffen, dass das Team bis dahin noch etwas mehr zu sich findet.

Chiquita Charity Bowl VIII
Dodge Vikings vs. Team USA 34:27
(10:7/14:6/10:7/0:7)
04. Juni 06, Kickoff 16:00
Hohe Warte, Wien
Referees: Hofbauer / König T. / Zemsauer / Savicevic

Scores:
1st
08:20 VIK – Peter Kramberger 27 yd field goal, 7-39 2:37, USA 0 – VIK 3
03:44 USA – Kevin Dixon 63 yd pass from Joe Jackson (Roger Burbage kick), 2-63 0:17, USA 7 – VIK 3
01:17 VIK – Luke Atwood 10 yd pass from Toby Henry (Peter Kramberger kick), 2-66 0:14, USA 7 – VIK 10

2nd
08:23 VIK – Wolfgang Hable 20 yd pass from Toby Henry (Peter Kramberger kick), 6-76 3:30, USA 7 – VIK 17
02:38 VIK – Luke Atwood 40 yd pass from Toby Henry (Peter Kramberger kick), 3-54 1:03, USA 7 – VIK 24
00:02 USA – Kevin Dixon 4 yd pass from Joe Jackson (Roger Burbage kick blockd), 8-63 2:29, USA 13 – VIK 24

3rd
08:16 VIK – Axel Schwarz 2 yd run (Peter Kramberger kick), 8-63 3:43, USA 13 – VIK 31
03:54 USA – Rick Jenkins 1 yd run (Roger Burbage kick), 10-71 4:16, USA 20 – VIK 31
00:28 VIK – Peter Kramberger 30 yd field goal, 12-41 3:26, USA 20 – VIK 34

4th
04:52 USA – Chris Keck 8 yd pass from Joe Jackson (Roger Burbage kick), 5-43 1:35, USA 27 – VIK 34

Wetter: Regnerisch, trüb, kalt

Spielbewertung
Spielniveau:
Ambiente:
Unterhaltungswert:
Ochsen Test: bestanden
Charity-Most-Valuable-Person: Lance Gustafson (cheering and rescueing of a beercup)

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