Eine doppelt so weite Strecke wird das Nationalteam von Serbien genau 20 Tage später zum Bodensee-Cup nach Hohenems zurücklegen.
Gridiron in Serbien

In Serbien spielt man seit rund fünf Jahren Football, die ersten vier davon mangels finanzieller Mittel ohne Ausrüstung (!). Dafür werden die Ligaspiele bereits seit einigen Jahre Live im serbischen TV übertragen. Auch die NFL wird am Balkan groß geschrieben. Man braucht z.B. in Kroatien weder Premiere (die zeigen die NFL bekanntlich eh nicht mehr) oder einen illegalen Pixelplayer aus dem Netz um der National Football League folgen zu können, denn die wird dort fast vollständig im Free-TV übertragen. Für manche Zeitgenossen jetzt ein Anlaß sich eine Zweitwohnung in Zagreb zuzulegen?

Liga und überregionales Turnier – man schenkt sich nichts

Derzeit nehmen in Serbien 15 Mannschaften an einem Ligabetrieb oder Langzeit Turnier teil, davon 11 in der serbischen Liga – bis zum Jahresende noch ohne Ausrüstung (sic!) – aber dennoch vor jeweils gut 1000, bisweilen sogar noch mehr Zusehern.

Vier Teams spielen hier nicht mit, sondern nehmen (mit Ausrüstung) an der SELAF (Southeastern League of American Football) teil. Obwohl das Wort Liga im Namen steckt, sieht man die SELAF als überregionales Turnier, organisiert von keinem Verband, sondern von einer privaten Gesellschaft. Der Modus ist genau jener der AFL 2006. Fünf Teams – Hin- und Rückspiel – Finale. Auf Grund der geringen Anzahl der Spiele (21) blieb man vorerst noch bei der Bezeichnung Turnier, da Liga den Organisatoren zu hochtrabend erschien. Das soll sich 2007 allerdings ändern.

Derzeit ist mit den Ljubljana Silverhawks nur ein nichtserbisches Team dabei, im kommenden Jahr will man expandieren. Zielländer sind hier neben Ungarn, Kroatien und Norditalien auch die Randbereiche von Österreich.

Sponsoren zahlen Reisekosten

Charakteristisch für die SELAF ist, daß alle Transportkosten zu den Spielen seitens von der SELAF beigebrachten Sponsoren übernommen werden, des weiteren ist für das kommende Jahr auch die Ausschüttung einer Prämie an die Finalisten angedacht. In der Vorrunde schwankten die Zuseherzahlen zwischen 400 (Ljubljana) und 3000 (Novi Sad und Kragujevac). Für das Finale kommende Woche in der serbischen Hauptstadt rechnet man mit einem weitgehend ausverkauften Haus bei 4000 Zuschauer im Ersatzstadion (Rasensarnierung). Medienpartner ist dabei ein teilweise in österreichischem Besitz stehendes führendes serbisches Medienhaus. Beim Länderspiel Serbien vs. Slowenien (38:0) im Herbst vergangenen Jahres war die Hütte mit 5000 Zusehern rappelvoll. Kooperationen mit Rest-Europa werden jedenfalls angestrebt.

NFL-Coverage in der gesamten Region

Bezeichnend für die ganze Region ist die sehr ausführliche NFL-Berichterstattung in Zeitschriften und im TV. Damit erklärt man seitens der SELAF die ungewöhnlich hohen Zuschauerzahlen. American Football ist im europäischen Vergleich ein relativ populärer Sport. Zuletzt wurde von der NCL Media Group (auch diese steht interessanter Weise teilweise in österreichischem Besitz) die Übertragungsrechte der NFL für Kroatien erworben. Gleichzeitig wird in Kroatien über die Printmedien des Hauses (Gesamtauflage 650.000 – also ca. NEWS Größe!) eine massive begleitende Kampagne geführt. Wenn einem Ben Roethlisberger der Blinddarm drückt, dann ist das keine Sechzehntelspalte im Sportteil, sondern ein doppelseitiger Aufmacher. Und man hat dafür auch die Interessenten = Leser.

Während der Kriegshandlungen in den 90er Jahren sind viele Menschen aus der Region in die Staaten geflüchtet. Nicht wenige sind in den letzten Jahren in ihr Land zurückgekehrt. Die Region ist daher extrem ‚anfällig‘ was Amerikanismen betrifft und das färbt natürlich auch auf das sportliche Konsumverhalten ab. American Football hat sich dort vom Dasein einer Randsportart gelöst, noch bevor die regionalen Teams Helme und Schulterpolster hatten. Ein einzigartiger Prozeß in Europa. Die dazugehörige Kampagne ist natürlich kein Zufall, sondern hat Methode. Sie ist gesteuert und macht auch Sinn für die Erfinder. Man erwartet sich in den nächsten Jahren einen Boom querbeet durch alle Bevölkerungsschichten. In Slowenien, Bosnien, Serbien, Kroatien und Montenegro. Diesen will man nicht alleine künstlich auslösen, sondern unterstützen. Die Medien-Firmen geben nicht ohne Grund Vollgas.

Plattform für heimische Teams

Neben der, auch für uns Österreicher, eher sehr ungewöhnlichen Annehmlichkeit keine Reisekosten im Budget einplanen zu müssen, nutzt man die Medienpräsenz auch dafür die lokalen Teams zu bewerben (Stichwort: Nachwuchs und mehr Spieler). Die lokalen Pioniere in Kroatien, die Zagreb Thunder, sind zwar sportlich nur ein ganz kleines Licht im europäischen Football, bekommen aber vom Sender und den Zeitschriften ausreichend Möglichkeit sich dort zu präsentieren. Auch das ist geplant. Man spannt die NFL vor den Karren lokaler Interessen. Willst du auch wie Peyton Manning sein? Komm zu den Zagreb Thunder!

Funktionale Naivität

So simpel sich das Konzept anhört, so effektiv ist es. Die Thunder verbreitern mit dem extra Boost gerade ihrer Basis, werden aber trotzdem erst 2008 in die SELAF einsteigen. Hier geht man auf Nummer sicher. Man will keine Teams im Bewerb haben die eventuell durch mangelnde Spielerzahl oder Infrastruktur (Stadion) mitten in der Saison nicht mehr weiter wissen. Zuerst wachsen, dann Früchte tragen, bevor die Äste durchhängen und den ersten Trieben die Last zu schwer wird.

Ausgeglichene ‚Liga‘ – tolle Webpräsenz

In Serbien gibt es an der Spitze derzeit drei ca. gleichstarke Vereine – Kragujevac Wild Boars, Novi Sad Dukes und Beograd Vukovi (Belgrade Wolves). Alle Vereine führen auch ein Team II so wieJunioren und verfügen über jeweils ein Spielerpotential von rund 90 Aktiven. Die Athletik ist gut. Als Beispiel: Einer der Top Runningbacks der Wolves wiegt 105kg und läuft die 100m in 10,85. An der Technik wird man noch einiges arbeiten müssen. Hier gibt es offene Flanken, welche nur durch professionelles Coaching geschlossen werden können.

Bemerkenswert ist die SELAF Homepage. Zweisprachig (Serbokroatisch und Englisch) bietet sie neben aktuellen Ergebnissen, (objektiven – also nicht von Vereinsvertretern verfassten) Spielberichten, Interviews, Spielerportraits, noch ein Forum, eine Fotogalerie und in der Form einzigartige individuelle Statistiken. Theoretisch könnte man mit den Informationen bereits eine SELAF-Fantasy League starten. 🙂 Jedenfalls handelt es sich dabei um die mit Abstand am besten aufbereitete Webpräsenz eines ‚Verbandes‘ wenn man so will, an dem sich so mancher andere gleich mehrere dicke Scheiben abschneiden kann.

Teilnahme an der C-EM geplant – Suche nach Exil-Serben

Das serbische Nationalteam ist am 28. Oktober erstmals in Hohenems im Rahmen des Bodensee-Cups zu sehen (das ist sicher auch kein Zufall), wird voraussichtlich in Graz (so sagen sie es zumindest selbst) an der C-EM teilnehmen. Für 21. und 22. Oktober wird das erweiterte Team zu einem Trainingscamp eingezogen. Derzeit präsentiert sich das Team ohne Top-QB und Top-Rusher Andrej Tasic (Verletzung), des weiteren auch ohne in der Welt verstreuten, aber mit serbischen Pässen behafteten Legionären. Nach diesen sucht man derzeit systematisch in Europa und diversen Colleges in Übersee. Wieviel man von diesen Herren zur EM bringen kann, ist letztlich ein finanzielles, wie auch logistisches Thema. Daß unter den möglichen Einberufenen u. A. auch Spieler mit NFL-Records auftauchen könnten, wollte uns in Belgrad niemand bestätigen, allerdings auch nicht dementieren. Serbische Bürger kommen weit in der Welt herum hieß es dazu. Wie auch immer sieht man sich bei der EM mit oder ohne US-Serben als krasser Außenseiter und nimmt das Spektakel auf sich, um zu Lehrgeld zu bezahlen.

In den kommenden Jahren will man vor allem in Coaching, Nachwuchs und Marketing investieren – ein massiver Einsatz von Imports in der Liga ist vorerst übrigens nicht geplant.

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