Satte 18 Jahre mussten die Fans warten, und es ist noch immer nicht bei allen wirklich angekommen, dass das jetzt wirklich passiert: Die Falcons. In der Super Bowl. Gegen die Patriots.
Da drängt sich die Frage auf (auch von Seiten der FA-Redaktion): Wie geht es so einem Fan von Atlanta, wenn im Finale die Bayern warten und man selbst in den Playoffs wie ein Champion aussah?
Die Gegenfrage ist: Wo anfangen? Ein Fan von Atlanta zu sein ist bisher zusammenzufassen gewesen mit dem hübschen Satz “happy to be there”. Die Falcons sind ein Team, das gern mit gutem Football liebäugelt, hin und wieder mal brilliert oder gar sehr sehr gut aussieht, nur um dann im wichtigsten Moment das Gefühl zu bekommen: Wow, wir sind wer. Wir spielen oben mit, das ist echt cool! Lasst uns mal Platz nehmen auf diesem gemütlichen Lorbeerstuhl….
Und bei dieser Freude dabei zu sein blieb es dann meistens auch. Schaffte man es mal in die Playoffs war dort schnell, oft in der Divisional Round Sense. 1980, in der 15. Saison, erlangt ein 12-4 Falcons Team hinter Franchise QB Steve Bartkowski und zwei (!) DROY Linebackern ein bitteres 27:30 gegen Tom Landrys Comboys. Sie führten 24:10 zu Beginn des vierten Viertels und waren dann… happy to be there.
Weitere 18 Jahre später
Die Dirty Birds wie sie sich dann nennen, marschieren zu einer magischen 14-2 Saison hinter dem Laufspiel von Jamal Anderson, gehen als enorme Außenseiter ins NFC Championship game gegen die 15-1 Vikings, die ihrerseits ja auch ein “alle zehn Jahren sind wir da, nur um mit einer Katastrophe wieder heimzufahren” Franchise sind. Irgendwas musste hier also passieren, und in einem Klassiker gewinnen die Falcons dank einem missed FG von Gary Anderson in Overtime gegen die 550-Punkte Maschine von Randy Moss, Cris Carter und co. ihren ersten Einzug in die Super Bowl, wo sie wieder einmal end en mit… happy to be there.
Die Freude über den Einzug war so groß, dass manche Spieler sich am Vorabend verhaften ließen. John Elway, dessen letztes Spiel eben diese Super Bowl war der erfahrene Veteran, der die grünschnäbeligen Falken lehrte, was es heißt ein Champion zu sein: Mit 34-19 schickt er sich in die Pension mit zwei Titeln in Folge, und die Falken zurück in den Keller.
Die letzten 18 Jahre sind gefüllt mit viel Hotzenplotz rund um Michael Vick, dem elektrischsten jungen Quarterback, den eine mehrheitliche schwarze Großstadt in den USA sich nur wünschen kann. Er revolutioniert die Idee des mobilen Quarterbacks, macht Atlanta zu einem wahren offensiv Spektakel, gewinnt, als erster, in Lambeau in den Playoffs und schafft es sogar einmal ins NFC Championship Game. Aber immer im größten Moment fehlt dem Team die Routine, die tiefe im Kader, das Coaching, die Zuversicht, die sagt: Nein, wir sind nicht nur froh hier zu sein, wir sind hier um zu gewinnen.
Auch Vick’s Nachfolger als Franchise-QB litt konstant unter diesem Problem. Matt Ryan ist als 9-jähriger Veteran sicher der beste QB, den die Falcons je hatten, und viel mitschuld in den Playoff-Niederlagen, die er einstecken musste, hatte er nicht. Aber als Team war auch seine Ära (2008-heute) geprägt von mangelndem Biss, mangelnder Tiefe im Kader von GM Thomas Dimitroff, mangelndem Mut der Coaches, und auch mangelnder Defense.
2012 spielt Ryan mit Julio Jones, Tony Gonzalez und Roddy White in einer Traum-Offense und schafft es erstmals, nach drei Niederlagen, einen Sieg in den Playoffs zu setzen. Wie gut das Seahawks-Team war, dass er besiegt hat, stellte sich erst Jahre später heraus (ihre nächste Playoffniederlage kam dann erst in der SB gegen Tom Brady vor zwei Jahren). Gegen die 49ers im 2012er Championship Game führen die Falcons 17:0 bevor in der Defense alle Dämme brachen. Wieder wirkte es so, als ob der Sieg gegen die Hawks in der Vorwoche Anlass war, zu jubeln. Man wer endlich wieder wer. Happy to be there.
Quinn’s Ankunft
Einige miese Saisonen später ist mit Dan Quinn ein neuer Coach da, einer der aus der Seahawks-Schule einiges an smarten Ideen mitbrachte. Ein neuer Fokus auf Coaching, z.B.. Die Falcons haben eines der größten Coaching Staffs der Liga, und setzen vor allem auf der Defensive darauf, dass es auf jeder Position mindestens zwei Coaches gibt, die Spielerentwicklung fördern. An Personal wurde binnen zwei Offseasons de facto alles umgebaut, sieben von elf Startern in der Defense sind in ihrem ersten oder zweiten Jahr als Starter am Feld.
Das wirkt erst einmal wie frischer Wind, und flott sind die Kids allemal, aber natürlich kommt es auch mit mangelnder Erfahrung und so mancher Fehlentscheidung daher. Die Defense der Falcons lernt dazu, wird im Verlauf der Saison besser und hat nun schon sehr lange (seit Woche 8) kein Spiel mehr wirklich hergegeben.
Die Offense rund um Matt Ryan hat eine Zuversicht bekommen, die man so nie kannte. Normalerweise fangen Falcons-Saisonen gut an, und tröpfeln dann bis zum Playoff-Aus langsam runter bis zur Flatline. Das heurige Jahr verlief umgekehrt: Von Januar, als man die letzte Saison mit einem frustrierenden 8-8 beendete, über Free Agency bei der man für einen C und einen WR#2 zu viel zahlte, über den Draft bei dem sehr rohe Spieler in Runde 1, 2 und 4 genommen wurden, die aber starten müssen, über die Preseason, wo man, und hier setzt meine deutlichste Erinnerung ein, gegen die Dolphins in Woche 3 absolut grottig aussah. Matt Ryan warf wieder einen patentierten Red Zone Pick. Der Roster wirkte völlig unzusammenhängend. Der GM, der das alles eingebrockt hat, wurde gerade verlängert. Und der Regular Season schedule war mit einem Haufen an guten Teams vollgepackt.
Nach dem Miami Game am 25. August war ich bereit aufzugeben. Der Schedule sah nach 5-11 aus, danach müsste man sich überlegen ob man Quinn und Dimitroff vielleicht doch feuert, was wieder einen Rebuild von zwei, drei Jahren bedeuten würden, während denen Ryan und Julio fleißig ihre besten Jahre verlieren… Es sah übel aus. In Woche 1 verliert man gegen die 6-10 Buccaneers zu Hause ein Ehrenduell gegen die eigenen Ex-Coaches (Bucs HC Dirk Koetter und DC Mike Smith waren davor in Atlanta). Zu diesem Zeitpunkt – Mitte September, vor Woche 2 – bekommt man in Vegas 150:1 Quoten für eine Falcons Super Bowl Sieg. Happy to be there wirkte plötzlich wie ein Luxusproblem.
Und dann kam alles komplett anders.
Zuerst war es die Offense die im zweiten Jahr unter Kyle Shanahan erstmals ihren Rhythmus fand. Man sah zumindest auf der Seite wie ein kompetentes Team aus. Dann spielte man das Super Bowl Team aus Carolina, das noch immer einer gute Defense hatte (“ Jetzt kommen sie wieder runter auf den Boden”) und Ryan warf für 500 Yards, 300 davon auf Julio. Dann spielte man das andere Super Bowl Team, das noch immer einer gute Defense hatte, und gewann in Denver. Es folgte ein Knaller in Seattle, bei dem Quinn seinem Ex-Chef an einem nicht gegebenem PI Call unterlag, und ein Overtime-Blödsinn gegen die Chargers.
Aber da war ein Feuer da. Die Offense sah wirklich gut aus, mit weniger Fokus auf Julio gab es plötzlich unberechenbare Routen-Kombinationen. Die Runningbacks Devonta Freeman und Tevin Coleman entwickelten sich zu Schweizer Taschenmessern, die je nach Gegner immer den richtigen Gameplan bekamen. Im Verlaufe des Jahres erzielten 13 verschiedene Passfänger Touchdowns, ein NFL-Rekord. Die Maschine, inklusive überbezahlten Center und WR #2, rollte, ohne große Defensive Hilfe bis zum 4. Dezember gegen die Chiefs, als Ryan mit einem Punkt in Führung liegend, den ersten Pick-Two der NFL Geschichte warf und die Falcons auf 7-5 landeten.
Und da war er wieder der Zweifel. Kommt jetzt das Tröpfeln? Das Zögern, das Nicht-wissen-ob-man-will-oder-nicht? Der Coaching Staff beharrte auf Teamgeist, bzw. Brotherhood wie es bei den Falcons heißt, und die Stories häuften sich, die erzählen, wie wenig verbunden die Spieler in den Jahren davor waren. Quinn war erstaunt zu hören, wie Leute in derselben Position Group die Telefonnummern von einander nicht hatten, erstaunt, dass der Locker Room der Jahre zuvor Offense und Defense klar trennte. Erst als all das beiseite geschafft wurde, konnte sich dieses Team wirklich als Gemeinschaft sehen.
Und das Tröpfeln blieb aus.
Zu der Offense, die seit diesem Dezember Spiel gegen die Chiefs nie unter 33 Punkte kam, gesellte sich eine Defense, die nach drei Vierteln nie mehr als 15 Punkte zugelassen hat. Das wirkte anfangs noch wie 3 Monate versetzt bei der Offense, man dominiert die Rams, die 49ers, okay, miese Gegner, dann kommt Cam Newton, dann Drew Brees, der wird sie schon zerlegen… aber die junge Defense spielte weiter.
In den Playoffs war die Frage also wieder: Ist dieses Team einfach happy to be there? Und in den zwei Spielen war die Antwort relativ deutlich: Nein. Offense wie Defense gaben Seattle und Green Bay nicht den Hauch einer Chance, und es strömt eine Zuversicht aus den Spielzügen, Ryans Pässen, den Tackles, den Läufen, die man so in Atlanta noch nie, auch nicht 1998 gesehen hat.
Diese Zuversicht ist gefährlich, natürlich. Auf der anderen Seite wartet jemand, gegen den wirkt der damalige Elway noch wie ein College-Spieler. Aber man weiß auch, dass Super Bowls nicht mit Erfahrung gewonnen werden – der erfahrenere QB ist in den letzten 11 Jahren 2-6 gegen Quarterbacks mit weniger SB Starts – sondern mit Coaching, Kadertiefe, Gameplanning und Exekution. Dass die Falcons heuer samt den Playoffs so aussehen, als ob in all diesen Ebenen zu Recht in der Super Bowl stehen, dass ist die wirkliche
Überraschung. Ob sie sie gewinnen werden oder nicht, ist eine offene Frage, was in Anbetracht des Gegners beachtlich ist.
Insofern endet damit das Grundgefühl von “happy to be there”, dass dieses Team so lange ausgezeichnet hat. Atlanta als Stadt fühlt einen Schub durch dieses Team. Migos wirbeln die Billboard Charts auf, die TV-Serie Atlanta ist mit das beste was heuer rauskam, Brady-Freund Donald Trump attackiert Atlanta-Bürgerrechtsikone John Lewis und lässt die noch immer sehr afro-amerikanische Bevölkerung erst Recht auf diese Super Bowl heiß werden. Und inmitten all dessen sind die Falcons so richtig gut.
Verlieren können sie das Spiel de facto nicht, da die halbe Welt meint, es gehen nur um Brady gegen Roger Goodell. Aber gewinnen können sie alles, wenn sie das “happy to be there” durch ein “ had to be there” ersetzen können. Als Stadt, aber auch als Fans außerhalb Atlantas, war diesem Team zuzuschauen ein reinstes Gänsehautgefühl. Es wird sicher nacherzählt werden, egal wie es ausgeht. Aber die schönsten Momente sind jene, wo man dabeisein musste, um es zu glauben. Und nichts weniger als das ist es, was man fühlt, wenn man als Falcons-Fan auf diese Super Bowl nach vorne blickt.

Marko Markovic bloggt auf 2-Point-Conversation und ist auch Twitter zu finden.

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