„Die EFAF muss sich überlegen, wohin die Reise gehen soll“, sagte der Präsident der Raiffeisen Vikings, Karl Wurm, nach der Niederlage in der Eurobowl. Eine Einschätzung, die ich so nicht teilen kann. Natürlich darf man sich generell überlegen, wie sinnvoll eine EFL in der derzeitigen Unform (Stichwort: Modus) ist und Reformen anregen, aber wegen Calanda alleine? Also nein. Da misst man ihnen zu große Bedeutung zu. Aber bedeutsam sind sie.

Was ist denn eigentlich passiert?

Im Prinzip gab es das alles schon einmal vor rund einem Jahrzehnt. Damals dominierten die Bergamo Lions ein paar Jahre lang die Eurobowl. Mit einer Mannschaft, die so italienisch war, wie Calanda heute ein Schweizer Team ist. Ein bisschen halt und bei der Hymne muss man ja nicht unbedingt mitsingen. Ist eh meistens besser so. Die Vorherrschaft wurde dann aber durchbrochen und am Ende der Reise, die für Bergamo in der Sohle des Stiefels endete, gab es sogar Abfuhren für die Italoamerikaner. Seither noch irgendwas gehört von den einst so stolzen Löwen aus Bergamo? Ich auch nicht.

Damals agierten die Vikings – man sah es schön im zusammenfassenden Rückblick der ORF zur Halbzeit der Eurobowl – ebenfalls mit Dual Passports und Europäern. Der Finne Maki, der Pole Olson, der Ungar Kochberg, zuletzt der Jamaicaner Graham. Plus ein Grüppchen an „Beutedeutschen“. Sie waren alle (bis auf die Deutschen) in Wahrheit US-Amerikaner und gut war’s. Was stimmt ist, dass es bei den Vikings deutlich weniger waren als bei Bergamo damals und Calanda heute, aber das Prinzip wurde nicht in Chur erfunden, denn dafür legte schon die EFAF den Grundstein. In Calanda haben aber auch u.a. Deutsche und Österreicher Unterschlupf gefunden. Das deutet darauf hin, dass es in Europa Spieler gibt, die auch einen finanziellen Wert bekommen haben.

Austrian Way

Kurz danach passierte hierzulande noch etwas. In Österreich beschritt man den „Austrian Way“, denn das Nationalteam sollte aus der Versenkung geholt werden. Jahr für Jahr wurde die Anzahl der erlaubten Legionäre reduziert, Dual Passports sind heute sogar ein Luxus geworden, man sah mehr und mehr Österreicher in der Bundesliga. Dass das für viele gerade zur rechten Zeit kam, ist evident. Die Dragons stiegen eben wieder in die AFL auf, die Giants sind seit 30 Jahren mit den Finanzen klamm, die Bulls und Invaders vermeinten, eine Chance zu erkennen, die Black Lions sogar die einer kurzfristigen Ausnahmeregelung für sie, die Vikings fuhren gerade ihr Footballzentrum hoch und da kam dieses Sparpotential genau richtig. Einzig die Raiders waren damit nicht ganz glücklich und sind es heute noch viel weniger. Zu Unrecht, wie ich meine.
Heute alleine dem Erzfeind Vikings diese Entwicklung in die Schuhe zu schieben, das ist zwar hübsch populistisch, aber halt auch grundfalsch. Das wollten sie schon alle zusammen und jeder hatte sein Motiv. Das ehrlichste wohl der AFBÖ mit seinem Präsidenten Eschlböck, denn der wollte ein vernünftiges Nationalteam. Das hat er, manchmal mehr (Junioren Europameister, EM Bronze), manchmal weniger (WM Siebenter) auch bekommen.

Von der Garbage- in die Prime-Time

Und, das ist sogar das Wichtigste an der ganzen Sache: Junge Österreicher haben heute eine echte Perspektive, in der Bundesliga Football spielen zu können. Diese war vor zehn Jahren, vor allem auf Skill Positions, nicht wirklich gegeben. Fragen Sie mal nach bei z.B. Ivan Zivko, warum er von den Vikings weg, hin zu den Dragons ging. Weil er bei den Vikings, wie viele andere auch, sich in der Offseason noch so schinden hätte können, bei der Ankunft der US-Coaches im Frühjahr war er wieder der Ivan für die Garbage Time. Öd, das. Man zog dann 2007 eigentlich schon die Notbremse, denn das hätte eigentlich auch schon 2005 passieren können. Da war man aber noch ganz Eurobowlgeil und die Baustelle in Simmering eine Utopie am Reissbrett.
Von der Entwicklung der letzten Jahre haben in Wahrheit aber alle profitiert. Tryouts mit hunderten Aspiranten, Kader die anwachsen, neue Teams, die aus dem Boden sprießen und eine AFL, in der es keine Alleingänge oder Zweikämpfe mehr gibt, sondern seit einigen Jahren einen Vierkampf um den Titel.
Das jede Medaille zwei Seiten hat und es noch immer (oder schon wieder) möglich ist, dass jemand eine USA/EU-Truppe zusammenstellt, die einem solchen Programm dann überlegen ist, na das ist halt so. Nur was soll es uns sagen? Es stellt keine Bedrohung dar, sondern eine Aufgabe.

Nicht am Plafond angekommen

Der österreichische Football hat noch längst nicht die Decke seiner Leistungsfähigkeit erreicht. Es gibt neue Schulprogramme, es gibt neue Trainingsmethoden, der Sport ist nach 30 Jahren eben dabei, sich auf richtig breite Beine zu stellen. Es werden 2020 Spieler am Platz stehen, wo dann die heutigen End-Zwanziger froh darüber sein werden, nicht gegen diese spielen zu müssen. Das ist heute schon so, wenn man mit Ex-Bundesligaspielern über den Unterschied von 2000 zu 2010 redet. Da hat sich viel verändert und es wird sich noch viel verändern.
Calanda und ihr „Eurobowl-Programm“ spielen dabei nur die geringste aller möglichen Rollen, nämlich jene einer interessanten „Benchmark des Möglichen“ in Europa. Mögen ihre Wünsche in Erfüllung gehen und dahinter tatsächlich ein eigenes Programm von europäischer Qualität im Entstehen begriffen sein. Passiert das nicht, dann sind sie halt eine ebenso flüchtige Erscheinung wie Bergamo und es heißt: Der Nächste bitte. Wie stark die Schweiz als solche derzeit tatsächlich ist, das wird man dann im September bei der C-EM sehen.
Es gibt auf Klubebene für uns nichts mehr zu gewinnen und nichts zu beweisen, was nicht schon gewonnen und bewiesen wäre und es gibt hier auch keine Dringlichkeit. Es ist Calanda, das zum Gewinnen verdammt ist. Wer schart schon Legionäre um sich, um Spiele zu verlieren? Niemand. Das ist ausgelegt auf den Titelgewinn. Alles andere wäre absurd. So gesehen ist ein 27:14 sogar aus deren Sicht ein wenig fragwürdig. Sollte das nicht eigentlich deutlicher ausfallen? Nun: A win is a win.
Man kann sich das nächste Ziel aber schon setzen: Beat Calanda. Aber natürlich nicht mit deren Methoden, sondern einfach mit einer weiteren Leistungssteigerung auf der vorhandenen und weiter zu entwickelnden Basis. Und die (Steigerung) wird es (wie gehabt) auch geben. Daher wird das auch über kurz oder lang passieren. Calanda kann dagegen halten mit noch mehr oder noch besseren Imports, aber sie müssen auch auf ihr angeblich tatsächliches Ziel – eben das eigene Programm – achten. Wir sind da so viele Schritte voraus, dass wir bei der Kritik, das gilt auch für mich, oft übersehen, wo sich Chur programmatisch eigentlich befindet. Die müssen da erst mal durch.

Angst vor Profis

Die tatsächlichen Probleme, die haben nämlich sie als Lösungsaufgabe vor sich. Sie spielen national in einer Liga, wo der Zweitbeste zwei Klassen unter ihnen reüssiert. Wo Halbfinalspiele abgesagt werden, weil der Gegner gar keinen Bock mehr hat auf das Ganze. Sie müssen ihren Eigenbauspielern erklären, warum Wassertragen eigentlich geiler ist als Bälle fangen. Sie müssen auch mit den Spielern, die ja nun „Eurostars“ sind, umgehen können. Wenn die Kohle da ist, das Verständnis im Verein da ist, wenn das alles weiter läuft, dann können wir sie auch weiterhin als Gradmesser unserer Standards hernehmen. Als langfristig begehbaren Weg sehen sie es allerdings selbst nicht, warum sollten es dann andere tun?
Die Angst, dass hier das Profitum in Europa vor der Einführung steht, die ist völlig irrational, denn es gibt weit und breit niemanden, der Bereitschaft zeigt, das zu kopieren. Da fehlt es an Geld (die Zahl der Euro-Millionäre, die in Football investieren wollen, ist überschaubar) und in Folge auch an Motiven. Schwäbisch Hall, Wien, Graz, Berlin, Innsbruck, vielleicht dann auch mal Kiel, werden ihren Weg gehen und damit versuchen, zum Erfolg zu kommen. Sofern man den Bewerb mal wirklich auf Vordermann bringt, denn so richtig sexy ist die Eurobowl ja schon länger nicht mehr und das hat nichts mit Calanda zu tun.
Die Unicorns müssten wieder durch einen Grunddurchgang gegen unattraktive Lückenfüller, die eben statt Carlstadt und Kiel antreten. Auch Graz stünde das bevor. Da gibt es dann zwei Mal ein Hoch zu Wenig und danach fährt man nach Wien, Chur, oder Innsbruck, um im Viertelfinale womöglich aufs Kreuz gelegt zu werden. Der Modus ist ebenso verkehrt, wie einige Teams auch teilnehmen, die da gar nichts zu suchen haben, andere dafür aber fehlen. Ich bin für eine richtig starke Europa-Liga. Bei allem Respekt für Spanien, Polen & Co.: Es gibt auch einen EFAF-Cup.
Das sind die Änderungen, die man der EFAF nahe legen muss und nicht, dass sie einem Schweizer Geldgeber verbieten sollte, irgendwem Geld zu geben. Was sie eh nicht tut, aber solche Anwandlungen haben ja manche hierzulande. Solche Ideen stehen unter Generalverdacht, aus einer Beleidigung heraus entstanden zu sein. Der soll bittteschön machen dürfen, was er glaubt, machen zu müssen. Er ist damit alleine, daheim noch viel mehr wie international. Er braucht uns also, um seinen Einsatz überhaupt messen zu können. Es wäre unfair, das über eine Regelanpassung spürbar zu machen, denn am Ende bleibt, wer nachhaltig arbeitet. Da zählen dann auch Millionen nicht, denn Substanz hat kein Preisschild.
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