Christopher Eric Houben für Football-Austria.com von der Eurobowl XX.
Große Mannschaften – und das macht sich schließlich zu solchen – stehen aber auf und geben bei der nächsten Gelegenheit die entsprechende Antwort. Nicht nur das ist den Vikings in der Raiffeisen Eurobowl XX gelungen, sondern vielmehr lieferten sie die wohl beeindruckendste Vorstellung der vergangenen Jahre ab. In einem hochklassigen Spiel gegen einen durchwegs talentierten und fordernden Gegner konnten die Wiener die Flash de La Courneuve mit 41:9 besiegen und den Eurobowl-Threepeat fixieren.
Atwood als Quarterback
Dass die Mannschaft im Vergleich zur Niederlage gegen die Swarco Raiders Tirol kaum wieder zu erkennen war – als Beobachter beider Spiele konnte man kaum glauben, hier zwei Mal das gleiche Team gesehen zu haben – steht mit Sicherheit mit einer Entscheidung in Verbindung, die von der Coaching Staff und dem Vorstand der Wikinger zu Wochenbeginn getroffen worden war.
Bereits nach dem Spiel gegen die Raiders hatten die Verantwortlichen kaum Zweifel daran, dass es auf der Position des Quarterbacks zu einer Änderung kommen müsse. Zu endgültiger Klarheit kam es schließlich als Toby Henry, der in der Austrian Bowl nur 14 von 30 Pässen vervollständigen konnte und sich zudem für nicht weniger als 4 Ballverluste verantwortlich zeigte, nicht zum Montagstraining erschien und der Vorstand nur mehr die Suspendierung des Amerikaners aussprechen konnte.
Nach den Erfahrungen des Vorjahres, als Luke Atwood den verletzten Shawn Olson äußerst adäquat auf der Quarterback-Position ersetzt hatte, fiel die Entscheidung zugunsten des charismatischen Vikings-Veteranen wohl nicht allzu schwer. Zudem konnte durch die Nichtberücksichtigung Henrys auch Shawn Leever in den Kader rücken, was sich als entscheidende Verstärkung der nach der Verletzung von Safety Mario Floredo zuletzt wackeligen Secondary der Vikings erweisen sollte.
Atwood zeigte gegen La Courneuve wieder eine seiner Leistungen, die den begnadeten Athleten aus Oregon über die letzten Jahre zu einem absoluten Fan-Liebling gemacht haben – diesmal eben als Quarterback.
Durch seine Scrambling-Fähigkeiten konnte er der Vikings-Offense nicht nur eine völlig neue Dimension geben, sondern gab der gegen die Raiders gebeutelten Offense Line der Wiener das nötige Vertrauen zurück, das schlussendlich zu einer überragenden Performance führte. Atwood selbst zeigte nach der Fehlpass-Orgie der letzten Woche ein beinahe perfektes Passspiel. Er komplettierte 13 von 15 Pässen für 165 Yards und einen Touchdown, sorgte mit zusätzlichen zwei Touchdowns am Boden für weitere Punkte und konnte in Drucksituationen immer wieder die entscheidenden Impulse setzen.
Die offenbar überraschten Franzosen konnten dem Angriffsfeuerwerk der Wikinger in der ersten Halbzeit kaum etwas entgegensetzen. Zwar waren die Vorstadt-Pariser nach einem beeindruckenden und mit kurzen Pässen gespickten Eröffnungs-Drive mit 6:0 in Führung gegangen als der starke Running Back Patrice Kancel von der 2 Yard Linie vollkommen unberührt in die Endzone laufen konnte, die Antwort des Titelverteidigers ließ aber nicht lange auf sich warten. Angeführt von Atwood und dem wiederum überragenden Running Back Clinton Graham sorgte die Wiener Offensive immer wieder für die entscheidenden Yards und die entsprechenden Touchdowns. War es zunächst Graham, der nach einem 5 Yard Option-Spielzug über links für die 7:6 Führung sorgte, war es kurz vor Ende des ersten Viertels der Neo-Quarterback selbst, der mit einem 16-Yard-Lauf entlang der rechten Seitenlinie in die Endzone der Franzosen eindringen konnte (14:6).
Defense in den entschiedenen Situationen beeindruckend
Es war aber nicht nur die Offensive der Vikings die sich im Vergleich zur Vorwoche stark verbesserte zeigte. Auch die Defense spielte wesentlich konzentrierter und aggressiver als noch acht Tage zuvor. Dies wurde besonders in den kritischen Spielsituationen sichtbar. Nachdem der Defense der Wikinger zu Beginn des zweiten Viertels zunächst gelang, die Franzosen nach nur drei Spielzügen zu stoppen, war es der ansonsten überzeugend agierende Defensive Back Neil Maki, der mit einem Fumble die Flash beinahe wieder zurück ins Spiel brachte. Der kanadisch-finnische Importspieler konnte einen Punt nicht unter Kontrolle bringen, was zu Ballbesitz La Courneuve auf der 24-Yard-Linie der Wiener führte. Kapital aus diesem Geschenk konnten die Franzosen allerdings nicht schlagen. Zu entschlossen stellte sich die Vikings-Defense La Courneuve entgegen und konnte die Flash schließlich bei einem Field Goal halten. Obwohl die Franzosen durch den Kick von Eric L’Honorey aus 26 Yards auf 9:14 verkürzen konnten, muss die Bedeutung dieser Spielsituation als durchwegs vorentscheidend eingestuft werden.
Ihren dritten Touchdown in ihrem erst dritten Drive erzielten die Vikings dann erstmals durch die Luft. Nach einer 15-Yard-Strafe gegen die Franzosen (Face Mask) und geschützt von einer Offense Line, die ihrem Quarterback immer wieder die nötige Zeit gab, konnte Luke Atwood mit einem präzisen Pass über die rechte Seite WR Johannes Widner in der Endzone finden, was zum Pausenstand von 21:9 führte.
Homefield Advantage
Auch zu Beginn der zweiten Hälfte war es wieder die Wiener Defensive die die entscheidenden Akzente setzte. Zwar führte das Duo Atwood-Graham die Offense der Vikings zu Beginn des dritten Viertels zunächst über 61 Yards in die Red Zone der Flash, wo sie dann aber nach einem ausgespielten vierten Versuch (4&2) gestoppt wurde, anstatt sich drei sichere Punkte mittels Field Goal zu sichern.
Angetrieben von 6500 fanatischen Fans, die die Offense der Franzosen durch ihre Lautstärke immer wieder in Verlegenheit brachten, kamen die Vikings bereits nach nur drei Offensivspielzügen und ganzen vier Yards des französischen Meisters in hervorragender Feldposition wieder Ballbesitz. Doch wiederum konnte der Vikings-Angriff, der in diesen Minuten mit Sicherheit seine schlechteste Phase hatte, kein Kapital daraus schlagen. Im Gegenteil – ein Fumble von QB Atwood führte zu Ballbesitz La Courneuve auf der 31-Yard-Linie der Wiener und das bei einem Spielstand von 21:9. Die Chance der Franzosen lebte. Ein Touchdown in dieser Situation und die Pariser währe wohl wieder im Spiel gewesen. Anstatt aber nach vorne in Richtung Vikings-Endzone zu maschieren, legten die Franzosen den Rückwärtsgang ein. Erst war es eine Strafe für unsportliches Verhalten, dann Linebacker Roman Floredo, der mit einem Monster-Hit bei Quarterback Braxton Shaver vorstellig wurde und wiederum dafür sorgte, dass eine blendende Gelegenheit für die Franzosen zu Nichte gemacht wurde.
So toll die Offense der Vikings in der ersten Halbzeit agierte, die Verteidigung unter der Leitung von Defense-Mastermind Chris Calaycay war es, die für die Entscheidung in diesem Spiel sorgte. Auch der Flash-Head Coach Vincent Lelard bestätigte nach dem Spiel diese Einschätzung: ‚Der Unterschied zwischen uns und Vikings war heute die Defense der Wiener. Sie hat in kritischen Situationen stark agierst und verhindert, dass wir nach den Turnovers der Vikings Punkte gemacht haben.‘
Todesstoß
Den endgültigen Todesstoß versetzte den Franzosen dann aber wiederum die Offense der Vikings. Einige starke Läufe von Star-Running Back Clinton Graham, der den Tag schließlich mit 144 Yards und 2 Touchdowns beenden konnte, ein Fake Reverse und ein daraus resultierender 34-Yard-Pass auf Pasha Asiladab bei 3&12 und schließlich ein 11-Yard-Lauf über rechts von Atwood persönlich sorgten kurz vor Ende des dritten Spielviertels für das 28:9.
Defense scores
Im vierten Viertel konnte sich die Defense der Wiener schließlich selbst in die Scorerliste eintragen und damit ihre überragenden Leistung krönen. Als die Franzosen nochmals versuchten, das Ergebnis ein wenig zu ihren Gunsten zu korrigieren, war es Safety Neil Maki, der einen Pass von Braxton Shaver abfangen und über 94 Yards unter dem tosenden Jubel der Fans in die Endzone der Flash zurücktragen konnte.
Nur wenigen Sekunden später folgte die nächste Interception – diesmal allerdings mit negativen Folgen. Nachdem sich Linebacker Roman Floredo den Ball sichern konnte und versuchte es seinem Defense-Kollegen Maki gleichzutun, brach er sich beim Return-Versuch die Schulter und musste sofort ins Krankenhaus eingeliefert werden. Laut Informationen der Dodge Vikings steht damit sogar der Einsatz Floredos für das Nationalteamspiel gegen Schweden (8. Oktober 2006) in Frage.
Die ungemein starke Darbietung der Vikings-Defense konnte auch die EFAF nicht leugnen und zeichnete doch etwas überraschend DL Mike Latek mit der MVP-Trophäe aus.
Vienna – Football Capital of Europe
Was auch die Fans der Vikings auf einem überdimensionalen Transparent nochmals zum Ausdruck brachten, ist nach diesem 41:9-Sieg nun endgültig Gewissheit. Wien ist die Football-Hauptstadt Europas. In Zusammenhang mit den Erfolgen, die die Wiener seit 1999 (6 Austrian Bowls, 3 Eurobowl) eingefahren haben, als Tobias Oberzeller mit seinem Austrian Bowl-Touchdown in letzter Sekunde den Beginn der ‚Vikings Neu‘ eingeleutet hatte, kann man durchwegs das Wort ‚Dynastie‘ in den Mund nehmen. Obwohl durch die Leistung der Vikings schlussendlich vollkommen ad absurdum geführt, habe ich in Vorbereitung auf diesem Spiel nochmals im Archiv gegraben, um festzustellen, dass die Vikings zuletzt im Mai des Jahrs 1998, also vor über acht Jahren, zwei Niederlagen in Folge hinnehmen mussten.
Wenn Wien die Football-Hauptstadt des Kontinents ist, dann muss Österreich nach dieser Saison wohl endgültig als die Nummer 1 unter den Football-Ländern Europas bezeichnet werden. Nach den Triumph der Turek Graz Giants im EFAF-Cup und dem dritten Eurobowl-Titel für die Vikings gehen 2006 zum erst zweiten Mal in der Geschichte des Europäischen Footballs beide Europacup-Titel ins gleiche Land. Das wohl merkwürdigste an diesem Erfolgen für Österreich ist aber wohl die Tatsache, dass sich keines dieser beiden Teams Österreichischer Meister nennen darf.
Große Freude
Auf Seiten der Vereinsverantwortlichen zeigte man sich nach dem Spiel erleichtert und glücklich wie selten. Nach dem Desaster gegen die Raiders nur wenige Tage zuvor hatten doch viele mit einer weiteren Niederlage der Wiener gerechnet. Vikings-Präsident Karl Wurm, der vor dem Spiel noch von Zweifeln geplagt wurde: ‚Ich sehr stolz auf meine Mannschaft. Wir haben die Austrian Bowl verdient verloren, aber nach dieser Leistung bin ich sehr zufrieden.‘
Auf Seiten der Franzosen wurde kaum eine Gelegenheit ausgelassen um die Anerkennung für die Leistung der Vikings zum Ausdruck zu bringen. So applaudierten die Franzosen bei der Siegerehrung lautstark. Selbst hatten sie sich wohl etwas unter ihrem Wert verkauft. Die fünfwöchige Pause, die für die Flash diesem Finale vorausging, hat den Parisern mit Sicherheit nicht geholfen.
Stimme nach dem Spiel:
Flash-Head Coach Vincent Lelard: ‚Wir haben so viel Respekt für das, was die Vikings aufgebaut haben. Im Gegensatz zu Bergamo und manchen deutsche Teams setzen sie so wie wir auf den eigenen Nachwuchs und nicht auf eine große Anzahl an Söldnern aus den USA. Der Unterschied zwischen den Mannschaften ist mit Sicherheit nicht so groß, wie das Ergebnis vielleicht aussagt. Das soll keine Ausrede sein, aber uns hat nach fünf Wochen Pause einfach der Rhythmus gefehlt um eine Mannschaft wie Vikings zu fordern.‘
Eurobowl XX
Dodge Vikings vs. Flash de la Courneve 41:9
22. Juli 06 | Kickoff 18:00
Casino Stadion Hohe Warte, Wien
→ Spielstatistiken
Referees: Axel Trittmacher, Dimitri Khaitovski, Magnus Bjermo, Walter Perona, Noland Worthy, Jens Toft, Per Simonsson
Spielbewertung:
Spielniveau:
Ambiente:
Unterhaltungswert:
MVP: Michal Latek (Vikings)
Eurobowl|Film 06
Gameday: Party für die Ewigkeit
Der aus der Interception resultierende Touchdown durch Clinton Graham, des wohl besten Footballers, der zur Zeit in den Ligen Europas sein Unwesen treibt, ging bereits in der Party, die auf den Tribünen der Hohen Warte zelebriert wurde, unter. Selten hat man die ehrwürdige Hohe ‚Heilige‘ Warte so ausgelassen erlebt wie an diesem wunderschönen, aber drückend heißen Sommersamstag in Wien-Döbling. Selbst als neutraler Beobachter konnte man sich dieser überwältigenden Stimmung nur kaum entziehen und musste sich mehrmals von den Emotionen im Stadion mitreißen lassen.