Es darf gesagt werden, dass diese Rollen beim heutigen AFL-Schlagerspiel mehr als eindeutig verteilt waren, mehr noch – der Zerlegte machte dem Zerleger das Zerlegen zusätzlich sehr einfach, indem er eifrig mithalf sich selbst zu zerlegen. Aber bevor wir hier noch einen Drehwurm bekommen folgen Sie uns zum erschütternden Tatsachenbericht von der Hohen Warte in Wien.

Beide Mannschaften gingen ungeschlagen in die Partie wobei die Grazer letzte Woche nur knapp und mühsam über die Raiders aus Tirol gewinnen konnten und die Vikings mit einem beindruckenden Score von 56:7 aus zwei Spielen locker auflaufen konnten. Trotz dieser tollen Bilanz wurden die Wiener – auch bei der eigenen Anhängerschaft – seit Saisonbeginn immer wieder ein wenig schräg beäugt: Kein Charley Enos mehr, kein Lance Gustafson mehr, kein Hammermüller mehr, kein Jason Galanos mehr und dann auch noch ein gewisser Toby Henry, ein Quarterback aus der zweiten deutschen Spielklasse – ob das gut gehen würde? Nun, die Antwort kann bereits vorsichtig formuliert werden: JA, mit dem Nachsatz: Zumindest in Österreich. Die Stärken der 2006er Dodge Vikings haben sich bereits schnell herumgesprochen: Eine bärenstarke Defense und ein erstklassiges Laufspiel mit Clinton Graham und einer formidablen O-Line. Die frühere Dominanz des Passspieles ist ein wenig abhanden gekommen und gab in den ersten beiden Spielen gar ein wenig Anlass zur Skepsis. Vor genau einem Jahr war es noch die Verteidigung, und da vor allem die Secondary, die als potenzielle Schwachstelle der Wiener galt. Diese Achillesferse konnte noch im Laufe der letzten Saison erfolgreich verarztet werden und angesichts der Tatsache, dass die Vikings gerade das zweite Spiel in Folge ‚zunull‘ gewonnen haben erübrigt sich hier jeder Zweifel im Ansatz.

Die Grazer gingen als anerkannter Aussenseiter in das Spiel und das hatte nichts mit Understatement, sondern durchaus mit Realitätssinn zu tun. Vor allem aus dem Laufspiel kommt der Krampf nicht raus, hinter dem verletzten Harald Egger klafft eine Lücke, die bis dato nicht zu stopfen war (von Sheldon Cross, dem Quarterback der Giants wird weiter unten noch zu berichten sein). Das Zauberwort in Sachen American Football heisst auch in Graz ‚Defense‘ und die wurde mit Imports ganz ordentlich herausgeputzt. Zu erwarten war vom Spitzenspiel der AFL also eigentlich ein Kurs in Selbstverteidigung. Es kam aber für die Grazer schlussendlich alles noch viel schlimmer als befürchtet, und das, obwohl es im ersten Viertel noch einigermaßen verträglich aussah.

Die Offense-Formationen beider Mannschaften begannen das Spiel, na ja – nennen wir es einfach ‚etwas holprig‘. Die Grazer mussten im ersten Drive punten und Vikings-QB Toby Henry wurde im ersten Angriff gleich von Christoph Schreiner intercepted. Zweiter Drive – Giants: Punt, Vikings: Fumble von Toby Henry. Turnover. Im anschliessenden Drive kamen die Giants durch eine Pass-Interference-Strafe an Mario Floredo zu ihrem ersten First Down (von insgesamt nur neun), mussten aber dann doch wieder den Punter den Drive beenden lassen.

Die Wikinger begannen sich langsam zu sammeln. Toby Henry hörte vorübergehend auf, seine Drives mit Turnovers zu beenden und warf vollständige Pässe auf Luke Atwood, lief etliche Yards ganz ordentlich selbst und ließ die letzen 15 Yards bis zur Endzone inklusive Touchdown von Clinton Graham erlaufen. Peter Kramberger tat seine Arbeit nach dem TD und es stand 7:0.

Es stellte sich schnell heraus, dass der Quarterback der Grazer einen rabenschwarzen Tag erwischt haben musste: Man stelle sich vor, Sheldon Cross kam bei 21 Passversuchen auf ganze zwei vollständige Pässe, einer auf Christian Kranz und einer auf Armando Ponce de Leon, und erzielte damit ganze 15 Yards Raumgewinn. Ursachen dafür gab es wohl einige: Erstens Sheldon Cross, zweitens die aggressive Vikings-Defense, drittens eine teilseise etwas suspekte O-Line und viertens patzende Giants-Receiver. Die genannten 15 Passingyards waren wohl gemerkt Brutto-Yards. Netto kamen die Grazer auf 0 Yards Raumgewinn durch das Passspiel und insgesamt nur auf ganze 55 ‚Total Net Yards‘!

Die 55 Laufyards teilten sich Michael Rotheneder (34), Darvin Lewis (13) und Steve Carter (11). Damit die Rechnung auf 55 Yards stimmt sei noch erwähnt, dass Sheldon Cross (-1) und Simon Krösselhuber (-2) ebenfalls am Laufspiel der Grazer beteiligt waren. Mitten im letzten Viertel stand die Offense der Grazer bei einem Zwischenstand von Minus 3 Yards!

Die Ergebnisse der Vikings-Offense sind rein statistisch betrachtet gut, aber auch sicher kein absoluter Highflyer: 379 Total Yards, 164 durch Lauf und 215 durch Pass. Toby Henry brachte drei TD-Pässe auf Luke Atwood an, der mit seinen 177 receiving Yards auch zum MVP gewählt wurde, wurde aber auch zweimal intercepted und kam in Summe auch nur auf 207 geworfene Yards obwohl die completion rate mit 65 % (21 von 30) durchaus in Ordnung war. Dass Herr Henry aber auch den tiefen Pass zu beherrschen scheint konnte er eindrucksvoll bei den TD-Pässen Nummer 2 und drei auf Luke Atwood beweisen. Abgesehen von Atwood stach aber kein Spieler aus der Mannschaft so richtig heraus, obwohl es mit Clinton Graham (1 TD, 60 Yards), Axel Schwarz (1 TD, 59 Yards) oder auch Toby Henry viele brav spielende Wikinger gab. ‚Na ja, was soll’s‘, mag sich jetzt der geneigte Leser hier denken, ‚für die Giants hat’s allemal gereicht‘. Dem geneigten Leser ist hier recht zu geben und es ist hinzuzufügen, dass es auch für die Raiders und für die Blue Devils gereicht hat. Der Score der Vikings beträgt nach drei Spielen 96 zu 7 – ein spektakuläres Ergebnis mit unspektakulären Methoden. Aber Halt – die spektakulärste Unit der Wiener ist natürlich heuer die Verteidigung, was man auch gegen die Giants wieder eindrucksvoll erleben konnte. Michael Werosta verzeichnetet seinen Karriere-Sack Nr. 60 und auch sonst ließen die Herren um die Floredo-Brüder, Mike Latek und Co keinen Zweifel über ihre Stärke aufkommen.

Auch die Giants-Verteidigung war im ersten Viertel nicht so schlecht, wie es das Endergebnis vermuten lassen würde. Das Laufspiel der Wiener konnte zu Beginn durchaus immer wieder erfolgreich unterbunden werden und einige Turnovers brachten den Ball auch zurück in die eigene Mannschaft. Da aber die Offense der Giants nichts zustande brachte und mit Fortdauer des Spieles förmlich zerbröselte, stand zwangsläufig die Defense häufiger auf dem Feld und wurde natürlich müder und müder. Am Ende des Spieles lagen die Giants vollkommen danieder: Die Offense war nicht mehr vorhanden und die Defense ausgelaugt, angeschlagen und konfus. Auch die Punting Unit patzte mehrmals, einige Snaps kamen viel zu hoch und einer kullerte sogar nach hinten in die Endzone was als Safety gewertet wurde und den Score der Vikings weiter voran trieb. Die Dekonstruktion in Döbling war somit vollzogen.

Was bleibt vom Tage? Die Giants brauchen ein Laufspiel und schnellstens Martin Grassegger zurück. Das selbsternannte Ziel der Steirer, im EFAF-Cup ins Halbfinale und in der AFL in die Austro Bowl zukommen scheint momentan recht illusorisch zu sein. Für die Grazer stehen als nächstes die EFAF-Spiele gegen die Prag Lions und gegen Berlin Adler an und Coach Phil Maas wird bis dahin (wieder einmal) viel zu tun haben.

Die Vikings sind ein Phänomen: Geänderte Spielstrategie mit Schwerpunkt auf Verteidigung und Lauf, im Vergleich zu den letzten Jahren unspektakuläre Spielweise mit dem spektakulärem Zwischenstand von drei Siegen und einem Score von 96-7! Die Zweifler der letzten Wochen dürften wohl langsam den schiefen Blick wieder gerade richten und die ersten ‚Toby-Henry‘-Sprechchöre sind auf der Hohen Warte auch schon zu hören. Wo mag das wohl noch hinführen? Wir nehmen fast an, dass diese Frage nicht in der AFL sondern in der EFL beantwortet werden wird. Wir freuen uns jetzt schon auf die Hamburg Blue Devils!

Scores:
Q1
03:00 – C. Graham, 15y run (Kramberger kick) 7-0
Q2
04:27 – L. Atwood, 17 yd pass T. Henry (Kramberger kick) 14-0
00:24 – P. Kramberger 27 yd fieldgoal 17-0
Q3
07:20 – Team Vikings Safety 19-0
05:51 – L. Atwood, 35 yd pass T. Henry (Kramberger kick) 26-0
Q4
12:00 – L. Atwood, 39 yd pass T. Henry (Kramberger kick) 33-0
05:55 – A. Schwarz 10 yd run (Kramberger kick) 40-0

AFL
Dodge Vikings vs. Turek Graz Giants 40:0

(07:00/10:00/09:00/14:00)
09.04.2006, Kickoff: 15.00h, Hohe Warte, Wien, 18 C, 4.100 Zuschauer
Referees: König T. / Dungler / Savicevic / Zwicker / Hofbauer / Bremser K.

Football-Austria.com Spielbewertung (max. 10 Balls)

Spielniveau:
Ambiente:
Unterhaltungswert:
Bagels und Bier -Test:

MVP: Luke Atwood (Dodge Vikings, 3 TD, 177 Yds)

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